Parsifal.
Sichverträumen, das er mit seinen Werken hervorrief,
mußte ihn bedenklich, ja erschrecken machen; und daß
er trotz dieses Schauspiels noch an sich und sein Werk
glaubte, erkennen wir als eine außerordentlich strenge
Belastungsprobe für sein Ernstnehmen seines Ideals.
Es war doch wahrhaftig keine Kleinigkeit, der Wirkung
seiner Kunst auf König Ludwig, ihren größten Be-
schützer, zuzusehen; und auch Dinge wie das Erstellen
von „Hundingshütten" getrost zu belächeln möchte dem
Schöpfer der Walküre nicht so leicht vonstatten gegangen
sein wie uns.
Von Wagner selbst nun kann man füglich behaupten,
daß er von der Romantik nur etwas infiziert, höchstens
im Stofflichen beherrscht, aber nicht gelähmt wurde
und daß dem seine Werke ihre Dauer verdanken; sie
vergehen nicht mit dem romantischen Geschmack. Was
für diesen ein Zauber war, ist hinfällig, ist schon abgetan.
Was bleibt übrig, da der Zauber versagte? Der Stil,
die Technik, der Geist. Nicht der Geist eines „arischen
Mysteriums", nicht der Geist der „reinen Torheit" und
des „aus Mitleid Wissens", sondern der Geist der Kunst.
Wieviel sie von diesem aufweisen, das entscheidet über
das Weiterleben der Musikdramen Wagners gleichwie
auch anderer Kunstwerke. Die Probleme müssen neu
gestellt, müssen endlich einmal ihrem wahren Gewicht
nach geordnet werden.
Wer das erkennt, wer vollends teils ahnt, teils weiß,
wie hoffnungsvoll dieses Unternehmen, der vermag
der brennend gewordenen Frage nach der Schutzfrist
und der Möglichkeit eines Spezialgesetzes nur sympto-
matischen oder allgemein kulturellen Wert zuzuschreiben;
an sich, inhaltlich, ist sie kaum von Belang. Einmal war
ein Volk nahe daran, einmal konnte im Ernst angestrebt
und verlangt werden, daß man ein besonderes Gesetz
für ein einzelnes Kunstwerk erlasse. Das ist wichtig.
Wie aber dieses besondere Gesetz lauten sollte und wie
das Verlangen nach ihm begründet wurde, das war
verkehrt. Parsifal als religiöse Angelegenheit: man
muß schon das Schwelgen in Andacht oder die Andacht
im Schwelgen mit Religiosität zu verwechseln imstande
sein (also der Religiosität ermangeln), um da mitzutun.
Und selbst wenn es Religion gewesen wäre, was viele
in dem Symbolischen und in den Worten dieses Musik-
dramas fanden, so ists doch eine Religion, mit der es
ganz gründlich vorbei ist, so gründlich wie mit dem Wahn,
die germanischen Götter- und Heldensagen für unser
Leben wieder fruchtbar machen zu können.
Der künstlerische Wert (nichts anderes!) entscheidet
über die Lebensfähigkeit, sowohl des „Rings", als auch
des Parsifal.
* *
*
Nehmen wir das an, haben wir die Nüchternheit,
das Selbstverständliche gelten zu lassen, so machen wir
zugleich damit den andern Einwand zunicht, den man
gegen die Öffentlichkeit des Parsifal zugunsten des
Bayreuther Monopols erhoben hat, nämlich daß er
nicht recht wirke außerhalb des durch die Tradition
geheiligten und durch Exklusivität heilig bewahrten Ge-
biets. Sehr einfach! Wirkt er nicht, so wird er in kurzem
wieder verschwinden. Das lasse man Sorge der einzelnen
Theater sein, die man also in diesem Fall eher vor dem
Begehren des neugierigen aber für dauerndes Interesse
keinerlei Gewähr bietenden Publikums schützen sollte,
als daß man den Parsifal vor ihnen zu schützen suchte.
Oder sagt man: es sei ein Frevel, ein solches Werk
auf dieselben Bretter zu bringen, auf denen die Fleder-
maus gespielt wird? Wohlgesprochen! Aber diesen
Frevel sehen wir ja auf Schritt und Tritt begehen,
denn an jedem wirklichen Kunstwerk würde er geübt.
Um ihn dem Parsifal gegenüber als besonders groß
erscheinen zu lassen, müßte man diesen eben wieder
als eine Art von religiöser Handlung ansehen, wessen
sich ja gerade der religiöse Mensch weigert. Außerdem:
der Frevel kann durch Gesetze nicht verhindert werden.
Belegte man nämlich auch die Bretter mit Bann und
Verbot: was hülfe das, da man nicht auch den Besucher
der „Fledermaus" davon abhalten könnte, den Parsifal
zu besuchen! Da, beim Publikum, nicht im Parlament,
liegt Wohl und Wehe der Kunst.
2.
Der Inhalt des Bühnenweihfestspiels ist nicht
Religion, sein Held ist nicht der religiöse Mensch, nicht
der Streiter für das Heilige noch auch der mitleidsvoll
Wissende, oder der Entsagende, sondern die religiöse
Gemeinschaft ist der Held; die Gilde; der Orden. Das
Ordenswesen ist die sinnliche Erscheinung des Religiös-
seins. Die Religion als Gehalt, als formal spezialisiert
kommt hiebei kaum in Betracht.
Offenbar haben wir es dabei mit einem Grundzug
in Wagners Schaffenswillen zu tun, und zwar mit dem,
was ihn, nach dem Stofflichen gesehen, als seine Zeit
hoch überragend, als Propheten einer bessern Aera
kundgibt. Es darf als typisch für Wagner angesehen
werden, daß er im Parsifal ein Beispiel von dem gibt,
was seiner Zeit fehlte und was wir heut noch vergeblich
ersehnen: nämlich von der Kraft, eine kultische Feier zu
erfinden, überhaupt von festlicher Phantasie. Der
Vergleich zwischen den Erequien der Mignon und dem
Kondukt des Titurel drängt sich auf, und nicht minder
der Eindruck von Wagners hier größerer dichterischer
Kraft. Da ist mehr Leben, mehr Gegenwart, mehr
Plastik des Möglichen, mehr „Seiendes", um es mit einem
Goetheschen Begriff zu sagen. Sprüche, wie sie der
Dichter des Wilhelm Meister hier anwendet, reden ja
viel mehr als daß sie bildeten. „Schaut mit den Augen
des Geistes hinan!" Und noch mehr von solchem matten
Predigen! Kein Wunder, daß diese Erequien sich als
unkomponierbar erwiesen haben, indem Schwächere
an ihnen scheiterten, Stärkere sich von ihnen fernhielten;
und das trotz des hohen Gehalts an Stimmung,
die sich in dem Leser für diese Totenfeier bereitet hat.
Wagner dagegen gestaltet Frage und Antwort durch-
weg sachlich, dem gegenwärtigen Amt entsprechend;
und er steigert beides ins Dramatische, indem er es
vom ritualen in den improvisierenden, in den Stil des
Augenblicklichen übergehen läßt, als ob die Fragen
als solche immer ernster und strenger gemeint wären,
während die Antworten zur mächtigen Anklage an-
schwellen, damit sich endlich beide Gruppen, die der
Fragenden und die der Antwortenden, zum gemein-
samen Ansturm auf den verzagt-trotzigen Amfortas
vereinigen: womit der feierliche H.etu8 tra§iou8 in
4Z7
Sichverträumen, das er mit seinen Werken hervorrief,
mußte ihn bedenklich, ja erschrecken machen; und daß
er trotz dieses Schauspiels noch an sich und sein Werk
glaubte, erkennen wir als eine außerordentlich strenge
Belastungsprobe für sein Ernstnehmen seines Ideals.
Es war doch wahrhaftig keine Kleinigkeit, der Wirkung
seiner Kunst auf König Ludwig, ihren größten Be-
schützer, zuzusehen; und auch Dinge wie das Erstellen
von „Hundingshütten" getrost zu belächeln möchte dem
Schöpfer der Walküre nicht so leicht vonstatten gegangen
sein wie uns.
Von Wagner selbst nun kann man füglich behaupten,
daß er von der Romantik nur etwas infiziert, höchstens
im Stofflichen beherrscht, aber nicht gelähmt wurde
und daß dem seine Werke ihre Dauer verdanken; sie
vergehen nicht mit dem romantischen Geschmack. Was
für diesen ein Zauber war, ist hinfällig, ist schon abgetan.
Was bleibt übrig, da der Zauber versagte? Der Stil,
die Technik, der Geist. Nicht der Geist eines „arischen
Mysteriums", nicht der Geist der „reinen Torheit" und
des „aus Mitleid Wissens", sondern der Geist der Kunst.
Wieviel sie von diesem aufweisen, das entscheidet über
das Weiterleben der Musikdramen Wagners gleichwie
auch anderer Kunstwerke. Die Probleme müssen neu
gestellt, müssen endlich einmal ihrem wahren Gewicht
nach geordnet werden.
Wer das erkennt, wer vollends teils ahnt, teils weiß,
wie hoffnungsvoll dieses Unternehmen, der vermag
der brennend gewordenen Frage nach der Schutzfrist
und der Möglichkeit eines Spezialgesetzes nur sympto-
matischen oder allgemein kulturellen Wert zuzuschreiben;
an sich, inhaltlich, ist sie kaum von Belang. Einmal war
ein Volk nahe daran, einmal konnte im Ernst angestrebt
und verlangt werden, daß man ein besonderes Gesetz
für ein einzelnes Kunstwerk erlasse. Das ist wichtig.
Wie aber dieses besondere Gesetz lauten sollte und wie
das Verlangen nach ihm begründet wurde, das war
verkehrt. Parsifal als religiöse Angelegenheit: man
muß schon das Schwelgen in Andacht oder die Andacht
im Schwelgen mit Religiosität zu verwechseln imstande
sein (also der Religiosität ermangeln), um da mitzutun.
Und selbst wenn es Religion gewesen wäre, was viele
in dem Symbolischen und in den Worten dieses Musik-
dramas fanden, so ists doch eine Religion, mit der es
ganz gründlich vorbei ist, so gründlich wie mit dem Wahn,
die germanischen Götter- und Heldensagen für unser
Leben wieder fruchtbar machen zu können.
Der künstlerische Wert (nichts anderes!) entscheidet
über die Lebensfähigkeit, sowohl des „Rings", als auch
des Parsifal.
* *
*
Nehmen wir das an, haben wir die Nüchternheit,
das Selbstverständliche gelten zu lassen, so machen wir
zugleich damit den andern Einwand zunicht, den man
gegen die Öffentlichkeit des Parsifal zugunsten des
Bayreuther Monopols erhoben hat, nämlich daß er
nicht recht wirke außerhalb des durch die Tradition
geheiligten und durch Exklusivität heilig bewahrten Ge-
biets. Sehr einfach! Wirkt er nicht, so wird er in kurzem
wieder verschwinden. Das lasse man Sorge der einzelnen
Theater sein, die man also in diesem Fall eher vor dem
Begehren des neugierigen aber für dauerndes Interesse
keinerlei Gewähr bietenden Publikums schützen sollte,
als daß man den Parsifal vor ihnen zu schützen suchte.
Oder sagt man: es sei ein Frevel, ein solches Werk
auf dieselben Bretter zu bringen, auf denen die Fleder-
maus gespielt wird? Wohlgesprochen! Aber diesen
Frevel sehen wir ja auf Schritt und Tritt begehen,
denn an jedem wirklichen Kunstwerk würde er geübt.
Um ihn dem Parsifal gegenüber als besonders groß
erscheinen zu lassen, müßte man diesen eben wieder
als eine Art von religiöser Handlung ansehen, wessen
sich ja gerade der religiöse Mensch weigert. Außerdem:
der Frevel kann durch Gesetze nicht verhindert werden.
Belegte man nämlich auch die Bretter mit Bann und
Verbot: was hülfe das, da man nicht auch den Besucher
der „Fledermaus" davon abhalten könnte, den Parsifal
zu besuchen! Da, beim Publikum, nicht im Parlament,
liegt Wohl und Wehe der Kunst.
2.
Der Inhalt des Bühnenweihfestspiels ist nicht
Religion, sein Held ist nicht der religiöse Mensch, nicht
der Streiter für das Heilige noch auch der mitleidsvoll
Wissende, oder der Entsagende, sondern die religiöse
Gemeinschaft ist der Held; die Gilde; der Orden. Das
Ordenswesen ist die sinnliche Erscheinung des Religiös-
seins. Die Religion als Gehalt, als formal spezialisiert
kommt hiebei kaum in Betracht.
Offenbar haben wir es dabei mit einem Grundzug
in Wagners Schaffenswillen zu tun, und zwar mit dem,
was ihn, nach dem Stofflichen gesehen, als seine Zeit
hoch überragend, als Propheten einer bessern Aera
kundgibt. Es darf als typisch für Wagner angesehen
werden, daß er im Parsifal ein Beispiel von dem gibt,
was seiner Zeit fehlte und was wir heut noch vergeblich
ersehnen: nämlich von der Kraft, eine kultische Feier zu
erfinden, überhaupt von festlicher Phantasie. Der
Vergleich zwischen den Erequien der Mignon und dem
Kondukt des Titurel drängt sich auf, und nicht minder
der Eindruck von Wagners hier größerer dichterischer
Kraft. Da ist mehr Leben, mehr Gegenwart, mehr
Plastik des Möglichen, mehr „Seiendes", um es mit einem
Goetheschen Begriff zu sagen. Sprüche, wie sie der
Dichter des Wilhelm Meister hier anwendet, reden ja
viel mehr als daß sie bildeten. „Schaut mit den Augen
des Geistes hinan!" Und noch mehr von solchem matten
Predigen! Kein Wunder, daß diese Erequien sich als
unkomponierbar erwiesen haben, indem Schwächere
an ihnen scheiterten, Stärkere sich von ihnen fernhielten;
und das trotz des hohen Gehalts an Stimmung,
die sich in dem Leser für diese Totenfeier bereitet hat.
Wagner dagegen gestaltet Frage und Antwort durch-
weg sachlich, dem gegenwärtigen Amt entsprechend;
und er steigert beides ins Dramatische, indem er es
vom ritualen in den improvisierenden, in den Stil des
Augenblicklichen übergehen läßt, als ob die Fragen
als solche immer ernster und strenger gemeint wären,
während die Antworten zur mächtigen Anklage an-
schwellen, damit sich endlich beide Gruppen, die der
Fragenden und die der Antwortenden, zum gemein-
samen Ansturm auf den verzagt-trotzigen Amfortas
vereinigen: womit der feierliche H.etu8 tra§iou8 in
4Z7