Traumgesicht.
Ich habe etwas Süßes gesehen, etwas Loses, Lustiges,
Flatterhaftes, das doch wieder auch nicht so flatterhaft war, daß
es nicht tiefen Eindruck auf mich und auf viele andere hätte machen
können. Der Ernst des Lebens klang wie eine Glocke in das lieder-
liche Geflüster und Geklingel und Gelispel hinein. Die Blätter
flüsterten, süßer, leiser Nachtwind wehte, Gelächter tönte, Tränen
rannen aus großgeöffneten Augen, Herzen erzitterten unter all
den zaubervollen Eindrücken, und Musik umrahmte und umfloß
und umgoldete das Ganze. Wunderbar, gleich einem Märchen,
an dessen schönen Inhalt die Kinder gerne glauben, drangen mir
die lieben, holden, tausend Jahr alten Melodien zu Herzen. Indem
ich sah, was ich sah, wurde ich zum Kind, und die ganze Welt,
so weit ich schauen konnte, schien mir neu geboren, ganz wie ich
selber und wie der, der es ebenfalls mit ansah. Bänder, rote,
grüne und blaue, schlangen sich wie anmutreiche, harmlose Schlangen
durch den milden Tumult des Lebens. Das Leben war mild und
wild zugleich und duftete, ach, so namenlos nach Glück, und mit
einem Mal lag auch schon das gutwillige, unschuldige Liebesglück zer-
rissen am Boden. Es gab niemand, der nicht liebte und der nicht
begehrte. Alle waren in den schönen Silber- und Feuerstrom mit
hineingerissen, und alle wollten das ja auch. Weh und Freude,
Schmerz und Lust schauten allen, die das Spiel mitspielten,
Ischimmernd und lechzend aus den Augen. Einige Augen waren
»niedergeschlagen, und Lippen waren da, die entfärbten sich und
^stammelten. Schwelgerische Rosen, die in ihren eigenen Farben
^zerflossen, prangten aus dem üppigen Bild lockend und bezaubernd
ls hervor. Lichter züngelten und liebäugelten hinter dunklem, traum-
haftem Grün wie rätselhafte Augen hinter Augenbrauen, und
Wellen liefen über das glatte Gestein, und Hoffnungen und Sehn-
süchten gaben in dem Raum den Ton an. Bald war der Nauru,
was er war, bald wieder war er ein Gedanke, so zart, daß der,
der ihn dachte, fürchten mußte, er verliere ihn. Ist nicht immer
der verloren gegangene Gedanke der schönste? Was man hat,
schätzt man nicht, und was man besitzt, ist entwertet. O wie schön
war der See in der nahen Ferne, vom Mond versilbert, der sich,
indem er sich ins Wasser verliebte, in den See glühend niederstürzte,
sich nun in dem Leib, den er vergötterte, selig widerspiegelnd.
Das Wasser schauerte und lag ganz still, beglückt durch die Ver-
götterung. Mond und Wasser waren wie Freund und Freundin,
gefesselt durch den Kuß, dem sie sich überließen. So zerfloß und
zerrann bald alles, und bald sah ich es von neuem, nur noch reicher
ausgestattet, aus der Undeutlichkeit hervortauchen. Schweigend,
ganz nur Auge, saß ich da und hatte alle Wirklichkeit vergessen.
Robert Walser.
Atus meinem Leben.
Erinnerungen und Betrachtungen von Wilhelm
Steinhaufen.*
Auch Steinhaufen hat nun gleich seinem Freund Thoma in
einem Buch zusammengefaßt, was er an Reden, Erinnerungen,
Aphorismen und Gedichten gelegentlich niederschrieb. Cs klingt
weicher, zärtlicher, was er sagt; er ist — wenn man will — im Schil-
lerschen Sinn ein sentimentaler Künstler und Mensch, den in jedem
Ding der Grund des Daseins beunruhigt: Seine Freude an einer
Landschaft, einer Blume, einem Kind ist nicht eine künstlerisch-for-
male, sondern wie man gemeinhin sagt, eine poetische; statt der
Harmonie von Farben und Linien als solchen, also ihrer äußeren
Schönheit, berührt ihn das Geheimnis ihrer Existenz in der Ewig-
keit, das für ihn überall zur Sprache Gottes im Sinne der christ-
lichen Lehre wird.
Durch diese Befangenheit in christlichen Vorstellungen mag
sein Menschtum in unserer Zeit für viele weichlich und verschwommen
wirken; es ist nicht das männlich germanische: Hilf dir selbst, so
hilft dir Gott, sondern der orientalische Fatalismus: Gott wird es
wohlmachen. Trotzdem wäre es kurzsichtig, diesen späten Christen
den Pastoren zu überlassen, weil er als Mensch durchaus über das
Ausmaß eines guten Gemeindemitgliedes hinausgewachsen ist und
weil seine Religion überall aus dem handfesten Evangelium ins
Mystische spielt und nur gewisser Redewendungen entkleidet zu
werden braucht, um das Dasein des Religiösen überhaupt vorzu-
stellen, d. h. desjenigen, der nicht breitbeinig auf der Religion steht,
um auf dieser festen Burg seine eigenen urmenschlichen Dinge zu
treiben, im Namen Gottes zu stechen und zu hauen: sondern dem
* Verlag Wilhelm Warneck, Berlin. Preis 8 Mk.
sie zur Quelle unaufhörlicher Beunruhigung wird, der als Seher
der Geheimnisse, als Stimme Gottes überall seine Menschlichkeit
bemißtraut, daß sie mit Hochmut oder doch Unehrerbietung sich
vor die Heiligkeit der göttlichen Dinge stellen möchte.
Nichts ist bezeichnender für diese Art, als ein Geständnis
Steinhaufens, daß er sich fürchte, mit seinem Zeichenstift an die
geheimnisvollen Formen der Natur zu rühren. Man könnte sagen,
ein solcher Mann habe als Maler seinen Beruf verfehlt; aber im
Zeitalter Cözannes und van Goghs sollte man vorsichtig mit solchen
Urteilen sein; auch dem gelegentlichen Freund der modernen
Kunst muß auffallen, wie leidenschaftlich sie aus einer angenom-
menen Sicherheit der Wirklichkeit gegenwärtig bis zur Übertreibung
des Futurismus in das Geheimnis der inneren Anschauung hinein
strebt. Und schließlich steht in einem solchen Bekenntnisbuch, wie es
dieses von Steinhaufen in jedem Sinn ist, das gemalte Werk des Be-
kenners überall zwischen den Zeilen. Freilich auch das hat die
gleichen Bedenken erfahren, aber schon die Zähigkeit allein, mit
der es sich seit Jahrzehnten seinen Kreis erwirbt, erhält und ver-
mehrt, sollte auch da nachdenklich machen. In der Malerei als Hand-
werk, als technisches Können, spielt Steinhaufen nur eine störende
Rolle; allen aber, denen ein gemaltes Werk nicht allein das Ding
an sich ist, sondern denen es zur Sprache wird von der Künstler-
seele zur Seele des Beschauers: wird seine Kunst ein merkwürdiges
Ereignis bleiben. Und daß diesen ein Bekenntnisbuch des Meisters
auch dann wertvoll wird, wenn sie sich mit seiner christlichen uni
nicht zu sagen kirchlichen Symbolik nicht abzufinden vermögen,
das sollte selbstverständlich sein. So wird es diesen „Erinnerungen
und Betrachtungen" nicht an den Freunden fehlen, die ich ihm
herzlich wünsche. S.
§)^nnette Kolb.
Da es nur ganz selten ist, daß ein literarisches Werk in
uns gleichzeitig die mondän-gesellschaftliche, die geistige, die
menschlich-seelische, die künstlerische, schließlich — Wunder über
Wunder — insofern es das Buch einer Frau ist, außerdem noch die
spezifisch männliche Sphäre berührt und erschüttert, so muß man
das Buch, das Annette Kolb als einen Roman unter dem Titel
„Das Exemplar"* veröffentlicht, wohl als eine sehr ungewöhn-
liche Gabe buchen. Annette Kolb tritt mit ihm nicht zum ersten-
mal vor die Öffentlichkeit; schon vor Jahren hat sie als eine Art
wenig beachteten Privatdrucks in München einen kleinen Essay-
band herausgegeben. Mir ist er nicht bekannt geworden; nach
einer Kritik Franz Bleis zu urteilen, enthielt er Essays über-
gesellschaftliche und künstlerische oder kunstgewerbliche Themen
und stellte dabei einen für Deutschland fast neuen Typus des
Schreibenden auf, den des Liebhabers, der bei einer nicht gerade
fachwissenschaftlichen, doch sehr ausgebreiteten Allgemeinbildung
im wesentlichen zum eigenen Vergnügen schreibt, in einer Form,
wie sie ihm der gewohnheitsmäßige Verkehr in gewählter Gesell-
schaft an die Hand gibt: Diesen Typus präzisierten dann gewisse
kleine Zeitungsaufsätze, die Annette Kolb veröffentlichte, kaum
mehr als Bemerkungen, aber so persönlich gefaßt, daß sie ein merk-
würdig deutliches Profil der Schreiberin vermittelten. Danach
verband sie in sich auf eine ungewöhnliche Art die Dame, die wohl
noch Mädchen war, mit einem erstaunlich kühnen und weitaus-
schweifenden Geist, der ähnlich wie der eines Oskar A. H. Schmitz,
nur tiefer und fruchtbarer, ursprünglich immer von dem ausging,
was er um sich sah; fern von aller Blaustrumpflerei hatte sie
— weiblich bis in die Fingerspitzen — in sich das Zeug zu einer
Denkerin, aber wenn die Form ihres Denkens noch in etwas
weiblich war, so waren es gewiß nicht mehr ihre Resultate.
Was dort einzeln ausgesprochen war und nur als Symbol
für das Umfänglichere gelten konnte, aus dem es kam, und für das
es zeugte, ist nun ins Breite gefaßt, erklärt und begründet in diesem
zweiten Buche, das sich als ein erzählendes Werk gibt. Den Titel
eines Romans führt es natürlich nicht mit allzuviel Recht, obwohl
man sich wundern muß, über welch eine blitzende, ja raffinierte,
in keinem Augenblicke aussetzende blühende Sinnlichkeit eine
so ganz aufs Geistige gestellte Natur besitzt, wie fest sie sich bei
ihrer Erzählung in der Hand hat, so daß sich Sätze, Absatz und
Kapitel immer als ein sinnliches Erlebnis runden. Ein Mensch,
der so ausgesprochen berufen ist, sich erlebend gleich beurteilend
zu den Dingen zu äußern, ein Mensch, der, durch und durch Künstler,
aber doch ein ins Geistige versetzter, sein Leben in solchem Maße
* Verlag S. Fischer, Berlin.
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Ich habe etwas Süßes gesehen, etwas Loses, Lustiges,
Flatterhaftes, das doch wieder auch nicht so flatterhaft war, daß
es nicht tiefen Eindruck auf mich und auf viele andere hätte machen
können. Der Ernst des Lebens klang wie eine Glocke in das lieder-
liche Geflüster und Geklingel und Gelispel hinein. Die Blätter
flüsterten, süßer, leiser Nachtwind wehte, Gelächter tönte, Tränen
rannen aus großgeöffneten Augen, Herzen erzitterten unter all
den zaubervollen Eindrücken, und Musik umrahmte und umfloß
und umgoldete das Ganze. Wunderbar, gleich einem Märchen,
an dessen schönen Inhalt die Kinder gerne glauben, drangen mir
die lieben, holden, tausend Jahr alten Melodien zu Herzen. Indem
ich sah, was ich sah, wurde ich zum Kind, und die ganze Welt,
so weit ich schauen konnte, schien mir neu geboren, ganz wie ich
selber und wie der, der es ebenfalls mit ansah. Bänder, rote,
grüne und blaue, schlangen sich wie anmutreiche, harmlose Schlangen
durch den milden Tumult des Lebens. Das Leben war mild und
wild zugleich und duftete, ach, so namenlos nach Glück, und mit
einem Mal lag auch schon das gutwillige, unschuldige Liebesglück zer-
rissen am Boden. Es gab niemand, der nicht liebte und der nicht
begehrte. Alle waren in den schönen Silber- und Feuerstrom mit
hineingerissen, und alle wollten das ja auch. Weh und Freude,
Schmerz und Lust schauten allen, die das Spiel mitspielten,
Ischimmernd und lechzend aus den Augen. Einige Augen waren
»niedergeschlagen, und Lippen waren da, die entfärbten sich und
^stammelten. Schwelgerische Rosen, die in ihren eigenen Farben
^zerflossen, prangten aus dem üppigen Bild lockend und bezaubernd
ls hervor. Lichter züngelten und liebäugelten hinter dunklem, traum-
haftem Grün wie rätselhafte Augen hinter Augenbrauen, und
Wellen liefen über das glatte Gestein, und Hoffnungen und Sehn-
süchten gaben in dem Raum den Ton an. Bald war der Nauru,
was er war, bald wieder war er ein Gedanke, so zart, daß der,
der ihn dachte, fürchten mußte, er verliere ihn. Ist nicht immer
der verloren gegangene Gedanke der schönste? Was man hat,
schätzt man nicht, und was man besitzt, ist entwertet. O wie schön
war der See in der nahen Ferne, vom Mond versilbert, der sich,
indem er sich ins Wasser verliebte, in den See glühend niederstürzte,
sich nun in dem Leib, den er vergötterte, selig widerspiegelnd.
Das Wasser schauerte und lag ganz still, beglückt durch die Ver-
götterung. Mond und Wasser waren wie Freund und Freundin,
gefesselt durch den Kuß, dem sie sich überließen. So zerfloß und
zerrann bald alles, und bald sah ich es von neuem, nur noch reicher
ausgestattet, aus der Undeutlichkeit hervortauchen. Schweigend,
ganz nur Auge, saß ich da und hatte alle Wirklichkeit vergessen.
Robert Walser.
Atus meinem Leben.
Erinnerungen und Betrachtungen von Wilhelm
Steinhaufen.*
Auch Steinhaufen hat nun gleich seinem Freund Thoma in
einem Buch zusammengefaßt, was er an Reden, Erinnerungen,
Aphorismen und Gedichten gelegentlich niederschrieb. Cs klingt
weicher, zärtlicher, was er sagt; er ist — wenn man will — im Schil-
lerschen Sinn ein sentimentaler Künstler und Mensch, den in jedem
Ding der Grund des Daseins beunruhigt: Seine Freude an einer
Landschaft, einer Blume, einem Kind ist nicht eine künstlerisch-for-
male, sondern wie man gemeinhin sagt, eine poetische; statt der
Harmonie von Farben und Linien als solchen, also ihrer äußeren
Schönheit, berührt ihn das Geheimnis ihrer Existenz in der Ewig-
keit, das für ihn überall zur Sprache Gottes im Sinne der christ-
lichen Lehre wird.
Durch diese Befangenheit in christlichen Vorstellungen mag
sein Menschtum in unserer Zeit für viele weichlich und verschwommen
wirken; es ist nicht das männlich germanische: Hilf dir selbst, so
hilft dir Gott, sondern der orientalische Fatalismus: Gott wird es
wohlmachen. Trotzdem wäre es kurzsichtig, diesen späten Christen
den Pastoren zu überlassen, weil er als Mensch durchaus über das
Ausmaß eines guten Gemeindemitgliedes hinausgewachsen ist und
weil seine Religion überall aus dem handfesten Evangelium ins
Mystische spielt und nur gewisser Redewendungen entkleidet zu
werden braucht, um das Dasein des Religiösen überhaupt vorzu-
stellen, d. h. desjenigen, der nicht breitbeinig auf der Religion steht,
um auf dieser festen Burg seine eigenen urmenschlichen Dinge zu
treiben, im Namen Gottes zu stechen und zu hauen: sondern dem
* Verlag Wilhelm Warneck, Berlin. Preis 8 Mk.
sie zur Quelle unaufhörlicher Beunruhigung wird, der als Seher
der Geheimnisse, als Stimme Gottes überall seine Menschlichkeit
bemißtraut, daß sie mit Hochmut oder doch Unehrerbietung sich
vor die Heiligkeit der göttlichen Dinge stellen möchte.
Nichts ist bezeichnender für diese Art, als ein Geständnis
Steinhaufens, daß er sich fürchte, mit seinem Zeichenstift an die
geheimnisvollen Formen der Natur zu rühren. Man könnte sagen,
ein solcher Mann habe als Maler seinen Beruf verfehlt; aber im
Zeitalter Cözannes und van Goghs sollte man vorsichtig mit solchen
Urteilen sein; auch dem gelegentlichen Freund der modernen
Kunst muß auffallen, wie leidenschaftlich sie aus einer angenom-
menen Sicherheit der Wirklichkeit gegenwärtig bis zur Übertreibung
des Futurismus in das Geheimnis der inneren Anschauung hinein
strebt. Und schließlich steht in einem solchen Bekenntnisbuch, wie es
dieses von Steinhaufen in jedem Sinn ist, das gemalte Werk des Be-
kenners überall zwischen den Zeilen. Freilich auch das hat die
gleichen Bedenken erfahren, aber schon die Zähigkeit allein, mit
der es sich seit Jahrzehnten seinen Kreis erwirbt, erhält und ver-
mehrt, sollte auch da nachdenklich machen. In der Malerei als Hand-
werk, als technisches Können, spielt Steinhaufen nur eine störende
Rolle; allen aber, denen ein gemaltes Werk nicht allein das Ding
an sich ist, sondern denen es zur Sprache wird von der Künstler-
seele zur Seele des Beschauers: wird seine Kunst ein merkwürdiges
Ereignis bleiben. Und daß diesen ein Bekenntnisbuch des Meisters
auch dann wertvoll wird, wenn sie sich mit seiner christlichen uni
nicht zu sagen kirchlichen Symbolik nicht abzufinden vermögen,
das sollte selbstverständlich sein. So wird es diesen „Erinnerungen
und Betrachtungen" nicht an den Freunden fehlen, die ich ihm
herzlich wünsche. S.
§)^nnette Kolb.
Da es nur ganz selten ist, daß ein literarisches Werk in
uns gleichzeitig die mondän-gesellschaftliche, die geistige, die
menschlich-seelische, die künstlerische, schließlich — Wunder über
Wunder — insofern es das Buch einer Frau ist, außerdem noch die
spezifisch männliche Sphäre berührt und erschüttert, so muß man
das Buch, das Annette Kolb als einen Roman unter dem Titel
„Das Exemplar"* veröffentlicht, wohl als eine sehr ungewöhn-
liche Gabe buchen. Annette Kolb tritt mit ihm nicht zum ersten-
mal vor die Öffentlichkeit; schon vor Jahren hat sie als eine Art
wenig beachteten Privatdrucks in München einen kleinen Essay-
band herausgegeben. Mir ist er nicht bekannt geworden; nach
einer Kritik Franz Bleis zu urteilen, enthielt er Essays über-
gesellschaftliche und künstlerische oder kunstgewerbliche Themen
und stellte dabei einen für Deutschland fast neuen Typus des
Schreibenden auf, den des Liebhabers, der bei einer nicht gerade
fachwissenschaftlichen, doch sehr ausgebreiteten Allgemeinbildung
im wesentlichen zum eigenen Vergnügen schreibt, in einer Form,
wie sie ihm der gewohnheitsmäßige Verkehr in gewählter Gesell-
schaft an die Hand gibt: Diesen Typus präzisierten dann gewisse
kleine Zeitungsaufsätze, die Annette Kolb veröffentlichte, kaum
mehr als Bemerkungen, aber so persönlich gefaßt, daß sie ein merk-
würdig deutliches Profil der Schreiberin vermittelten. Danach
verband sie in sich auf eine ungewöhnliche Art die Dame, die wohl
noch Mädchen war, mit einem erstaunlich kühnen und weitaus-
schweifenden Geist, der ähnlich wie der eines Oskar A. H. Schmitz,
nur tiefer und fruchtbarer, ursprünglich immer von dem ausging,
was er um sich sah; fern von aller Blaustrumpflerei hatte sie
— weiblich bis in die Fingerspitzen — in sich das Zeug zu einer
Denkerin, aber wenn die Form ihres Denkens noch in etwas
weiblich war, so waren es gewiß nicht mehr ihre Resultate.
Was dort einzeln ausgesprochen war und nur als Symbol
für das Umfänglichere gelten konnte, aus dem es kam, und für das
es zeugte, ist nun ins Breite gefaßt, erklärt und begründet in diesem
zweiten Buche, das sich als ein erzählendes Werk gibt. Den Titel
eines Romans führt es natürlich nicht mit allzuviel Recht, obwohl
man sich wundern muß, über welch eine blitzende, ja raffinierte,
in keinem Augenblicke aussetzende blühende Sinnlichkeit eine
so ganz aufs Geistige gestellte Natur besitzt, wie fest sie sich bei
ihrer Erzählung in der Hand hat, so daß sich Sätze, Absatz und
Kapitel immer als ein sinnliches Erlebnis runden. Ein Mensch,
der so ausgesprochen berufen ist, sich erlebend gleich beurteilend
zu den Dingen zu äußern, ein Mensch, der, durch und durch Künstler,
aber doch ein ins Geistige versetzter, sein Leben in solchem Maße
* Verlag S. Fischer, Berlin.
24Z