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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Lissauer, Ernst: Deutsche Kriegs- und Soldatenlieder
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Walser, Robert: Die Einsiedelei
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0048

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(^Xie Einsiedelei.
Irgendwo in der Schweiz, in bergiger Gegend, findet sich,
zwischen Felsen eingeklemmt und von Tannenwald umgeben, eine
Einsiedelei, die so schön ist, daß man, wenn man sie erblickt, nicht
an Wirklichkeit glaubt, sondern daß man sie für die zarte und träu-
merische Phantasie eines Dichters hält. Wie aus einem anmutigen
Gedicht gesprungen, sitzt und liegt und steht das kleine, garten-
umsäumte, friedliche Häuschen da, mit dem Kreuz Christi davor,
und mit all dem holden lieben Duft der Frömmigkeit umschlungen,
der nicht auszusprechen ist in Worten, den man nur empfinden,
sinnen, fühlen und singen kann. Hoffentlich steht das liebliche kleine
Bauwerk noch heute. Ich sah es vor ein paar Jahren, und ich
müßte weinen bei den: Gedanken, daß es verschwunden sei, was
ich nicht für möglich halten mag. Es wohnt ein Einsiedler dort.
Schöner, feiner und besser kann man nicht wohnen. Gleicht das
Haus, das er bewohnt, einem Bild, so ist auch das Leben, das er
lebt, einem Bilde ähnlich. Wortlos und einflußlos lebt er seinen
Tag dahin. Tag und Nacht sind in der stillen Einsiedelei wie Bruder
und Schwester. Die Woche fließt dahin wie ein stiller kleiner tiefer
Bach, die Monate kennen und grüßen und lieben einander wie alte
gute Freunde, und das Jahr ist ein langer und ein kurzer Traum.
O wie beneidenswert, wie schön, wie reich ist dieses einsamen
Mannes Leben, der sein Gebet und seine tägliche gesunde Arbeit
gleich schön und ruhig verrichtet. Wenn er am frühen Morgen
erwacht, so schmettert das heilige und fröhliche Konzert, das die
Waldvögel unaufgefordert anstimmen, in sein Ohr, und die ersten
süßen Sonnenstrahlen Hüpfen in sein Zimmer. Beglückter Mann.
Sein bedächtiger Schritt ist sein gutes Recht, und Natur umgibt
ihn, wohin er mit den Augen schauen mag. Ein Millionär mit
all dem Aufwand, den er treibt, erscheint wie ein Bettler, ver-
glichen mit dem Bewohner dieser Lieblichkeit und Heimlichkeit.
Jede Bewegung ist hier ein Gedanke, und jede Verrichtung um-
kleidet die Hoheit; doch der Einsiedler braucht an nichts zu denken,
denn der, zu dem er betet, denkt für ihn. Wie aus weiter Ferne
Königssöhne geheimnisvoll und graziös daherkommen, so kommen,
um dem lieben Tag einen Kuß zu geben und ihn einzuschläfern,
die Abende heran, und ihnen nach folgen, mit Schleier und Sternen
und wundersamer Dunkelheit, die Nächte. Wie gerne möchte ich
der Einsiedler sein und in der Einsiedelei leben. R. Wals er.
rutsche Kriegs- und Soldatenlieder.
Friedrich von Oppeln-Bronikowski hat, bei Martin Mörike
in München, eine Anthologie deutscher Kriegs- und Soldatenlieder
erscheinen lassen, eine in vieler Hinsicht verbesserungsfähige, immer-
hin aber verdienstliche Arbeit. Entbehrlich sind viele, weder an-
schaulich noch rhythmisch bemerkenswerte, Stücke, Volks- wie Kunst-
lieder (etwa von Hicmcr, Hauff, Wehl, Julius Wolff): das Niveau
ist durchaus kein hohes, weniger wäre entschieden mehr gewesen.
Anderseits werden manche Stücke, Volkslieder, (die zum Beispiel
Vespers Balladensammlung „Aus tausend Jahren" entbält und
andere, wie das „Landsturmlied" von 1813) vermißt, auch Stücke
von Kopisch und Christian Friedrich Scherenberg. Ferner hätte
der Herausgeber auf seinen Aufsatz über „Krieg und Kriegspoesie"
nicht nur Hinweisen, sondern ihn abdrucken sollen; bei Samm-
lungen, die zugleich geschichtlich orientieren und künstlerisch sichten
wollen, ist eine Einleitung unentbehrlich: sie muß deutlich das
geschichtliche und das dichterische Material sondern.
Die Sammlung reicht von der Reformation bis zur Gründung
des Reiches: die Zeitalter der Reformation, der Religionskriege,
der Staatskriege spiegeln sich, immer natürlich in der außenseiter-
haften Färbung des Soldatenstandes. Das wird anders erst mit
dem Jahre 13, seitdem, viel mehr als früher, Volk und Heer eines
sind. 1813, 1864, 70: immer wird gesprochen von König, Volk,
Vaterland; während noch „Fridericus Rex" nicht so sehr als Landes-
wie als Feldherr vergöttert wird, prinzipiell kaum anders als
Georg von Frundsberg, wie ja auch das Werbesystem der Lands-
knechte und der Fridericianischen Armee prinzipiell nicht verschieden
war. Die ältesten Lieder sind dichterisch am wertvollsten. Auch
wer es nicht weiß, wird verspüren, daß hier der Untergrund der
Poesie reicher ergiebig ist: Fülle der anschauenden Kraft ist noch
im Volke weitum aufgespeichert, und aus ihr wird nun die Kraft
der einzelnen Soldatensinger gespeist. Da findet sich etwa die
Anrede an den heiligen Georg: „Sankt Jörg, du edler Ritter,
Rottmeister sollt du sein". Der Bürger wird geheißen: der Vogel,
„der in der Ringmauer singt"; Wunden:

„Wer hat denn die Rosen all abgepflückt,
und der Narren Kappen damit geschmückt?"
Eine ähnliche Bildlichkeit ist in späterer Zeit nur in einem „flie-
genden Blatt" von 1870, auf die Schlacht bei Mars-la-Tour, zu
finden, das die weißen Uniformen der in dichter Masse hin-
gestreckten Halberstädter Kürassiere malt:
„Doch was ist das? In Frankreich hat
es im August geschneit,
da liegt das halbe Halberstadt
im weißen Waffenkleid".
Prachtvoll ist auch die schauende Hörkraft. Sie überträgt den
drohenden, fünfmal auffallenden Wirbel der Trommelschlägel in
den Warnruf „Hüt dich, Baur, ich komm'": der dumpfe Hall der
fern anmarschierenden Landsknechtrotte ist darin und weit aufgetan
ein ebenes Land, voll Angst in Straßen und Stuben. Das eben
ist der grundsätzliche Unterschied zwischen vernünftigen Sätzen und
den ganz unvernünftigen Rhythmen und Tönungen der Dichtung,
daß jene nichts darbieten als sich selber, ihren kargen „Sinn",
indessen diese Blicke assoziativ austun: ein unendliches über-
vernünftiges Mehr ist ihnen zugeteilt, und bisweilen ruht, wie in
dieser Zeile, ein Land und eine Zeit visionär eingeschlossen in fünf
sinnenfälligen Silben. Ähnlich ist der Name der Trommel aus
ihrem Ton erwachsen: das Pummerleinpum; man spürt, wie
Liebe zur Trommel diesen dumpfsummenden Kosenamen gebildet
hat. Im Gesang auf den Sieg bei Pavia und anderwärts rufen
die Trummen:
„Lärmen, lärmen, lärmen,
lärmen, lärmen, lärmen"!
Dies ist der Laut vieler zugleich erschallender Trommeln; das ganze
Gedicht ist so erfüllt von dem furiosen Getöse des feldschlacht-
schlagenden Heerhaufs. Es ist eines der wenigen Stücke, in denen
die soldatische Masse versichtbart ist. Ein barbarischer, urzeitlicher
Rhythmus ist in ihm: wie ein Schlachtgeschrei werden die ersten
und die dritten Zeilen immer wiederholt:
„Im Blut mußten wir gan,
im Blut mußten wir gan,
Bis über, bis über die Schuch:
Barmherziger Gott, erkenne die Not!
Barmherziger Gott, erkenne die Not!
Wir müßten sonst verderben also!"
(Ein Nachhall dieser rasenden Kampfkraft erdröhnt in einem der
stärksten Liliencronschen Gedichts, dem Siegeslied, aus seinem letzten
Bande.) Wesen und Begierde aller Werbesoldaten, bis hinein noch
in Napoleons ausgehobene Armeen, ist ebenfalls nirgends frecher
und drastischer, also nirgend echter, aber auch nirgend dichterischer
ausgesprochen worden als in diesem „Landsknechtwunsch":
„O Gott durch deine Güte,
beschere uns Kugeln und Hüte,
Mänteln und Röcke,
Geiße und Böcke,
Schafe und Rinder,
viel Frauen und wenig Kinder!"
Um 1620 findet sich noch manche starke Anschauung:
„Deutschland, du hast gesessen nu
im Rosengarten lang mit Ruh";
aber die spezifische dichterische Kraft läßt doch recht nach, und
während des ganzen sieben- und achtzehnten Jahrhunderts ist die
Höhe des sechzehnten nicht mehr erreicht. Es fallen mehr gute
Rhythmen auf als Anschauungen; im Lied „Feldzug gegen den
Türken", um 1680, im Marlbrucklied (in dessen Refrain „Mirong
ton ton ton mirong taine" aus der großen Landsknechtpauke eine
zierlichere Trommel geworden ist), auch im berühmten „Prinz
Eugen"-Lied von 1717, im Lied von der „Prager Schlacht"
(von 1757), das unter den Liedern des Siebenjährigen Krieges
durch Sckmiß und Verve hervorragt, reißt der Rhythmus mit,
aber die Diktion ist mehr prosaisch nüchtern, es fehlt jeder an-
schauende Glanz. Charakteristisch für das achtzehnte Jahrhundert
sind besonders dann die gelehrten Oden Klopstocks, Ewald von
Kleists und vor allem Gleims an Friedrich und sein Heer. Sie haben
heut Stubenfarbe angenommen und vereinen für unser Gefühl
Nüchternheit mit Schwulst, während die Volkslieder jener Epoche
bei aller Nüchternheit konkret, schlicht, voll frischer Luft sind.
Eine neue Höhe wird dann erreicht mit den Befreiungs-
kriegen. Hier ist vor allem das große „Fluchtlied" zu nennen,
das vor hundert Jahren im Anblick der mit Schafsfellen und
Frauenröcken bekleideten, verhungerten und vertierten Maro-
deure entstand, die aus Rußlands Feuer und Eis über den Njemen


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