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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Dünwald, Willy: Hebbels Verklärung
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0167

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Hebbels Verklärung.

Die Kindheit im armseligen Elternhaus in Wessel-
buren sah er durch ein rosa Glas: Schmalhans Küchen-
meister hatte garnicht so einen klapperdürren Hungerleib,
und die schicksalsergebene, gute und gemütshitzige Mutter
keine so traurige Merkmale langer Entbehrung im Ant-
litz; ja selbst der Vater schien nur halb so hart, streng und
lachunlustig. Aber das eine war doch nicht wegzuleugnen,
daß mit ihm und dem Bruder noch ein Hund groß
wuchs, der des Todes schuldig wurde, weil er aß. Nicht
unfreundlich stand im Verklarungsbild die Schreiberzeit
beim autokratischen Kirchspielvogt, obgleich sein frei
und adlig geborener Geist bis ins Knechttum gebeugt und
gedemütigt worden war. Wie in späteren Jahren an
den Hamburger Freitischen, nachdem der inneren Ver-
pflichtung unabweisbarer Drang ihn gerufen und der
Blaustrumpf Amalia Schoppe sein Leben schmieden
gewollt. Wo dem an Leib und Seele bedrängten Auto-
didakten Elise Lensing die Schatten forthauchte, zurück
ins Gespensterreich der Vergangenheit... um derent-
willen Golo unten stand und ihn verklagte.
Au dieser Stunde übersonnte verklärende Poesie
sein Leben, sodaß er nicht wußte, was der Wirklichkeit
und was der Dichtung an den Namen Elise Lensing und
Friedrich Hebbel. War er es denn wirklich, der in Heidel-
berg in den Auditorien gesessen, in steter Erwartung,
von den vornehmen Studenten ob seiner schäbigen
Handwerkerkleidung angezapft zu werden, und war
es Elise Lensing, die ihm tausend Taler gesendet, um
nach München zu können! Und die ihm auch nach dort
Geld und immer wieder Geld, Wäsche und Kleider
schickte! Ja, es mußte wohl doch einst Wirklichkeit,
grausame Wirklichkeit gewesen sein, denn nicht zu ver-
gessen waren die heiligen Zwölf Nächte, da sein von
harter Gegenwart bedrängter Geist fortgeflattert, fernen
Erinnerungen zu, hinweg aus München, zurück zur
Kinderzeit, zurück zur alten Mutier in Wesselburen.
Bei der Elise Lensing eintrctt als Weihnachtsengel mit
Geld und Wein. Im Namen dessen, den sie lieble, für
den sie atmete, lebte und strebte. Die das an seiner
Mutter tat, was er nicht konnte: ein hartes Dasein
so gut zu mildern, als es ging. Was seine Selbstqual
um einiges linderte, als dieses Leben ausgeflammt,
ohne daß er es hatte hüten und bewahren können. Was
gewesen war in jener Zeit, da auch der Herzensfreund
Emil Rousseau von dieser Welt geschieden und er sich
öde und verlassen gefühlt wie nie.
Dann, nachdem er sich mit einem Hündchen per
psäss unterwegs nach Hamburg gemacht, hatte ihn dort
Todeskrankheit erwartet, mit der in sieben Nächten
Elise um ihn gekämpft und ihn errungen zu ihrer Lust
und Liebe... und zum Vater eines Kindes; obgleich
er nichts als Freundschaft für sie empfunden seit An-
beginn und nie angestanden, ihr dies und seine Sinnes-
sehnsüchte nach anderen Frauen aufrichtig, grausam zu
gestehen.^War^dem^so?^Dessen^er sich"zeitlebens be-
wußt gewesen, daß in ihm, anderen zum Schmerz und
sich zur Lust ein böser Dämon lebe, dies wollte ihm zur
Stunde nicht richtig dünken. Der schlafende und der
essende Mensch war ihm heilig seit jeher und der leidende
sollte ihm nicht? Ein böser Traum mußte sich einge-
schlichen haben in die Tage seines Lebens; es war ja

nicht auszudenken, daß er Elisen, der Armen von Jugend
auf, schroff begegnet und sie satanisch gequält. Und
wiederum war doch die Erinnerung nicht zu Überblumen,
daß der Dämon zurückgefahren in den letzten Höllen-
winkel seines Innern, vor der himmlischen Gewalt
in Elisens Augen, deren Tränen, ob angetaner Qual,
nach innen, nicht nach außen flössen.
Wenn das Plus von Glück und Lust sich märchenhaft
benennt, warum nicht auch das Plus von Unglück und
Leid? Waren die nun folgenden Lebensjahre nicht ein
von keinem und niemand zu erlebenden Gruselmärchen?
Vom dänischen Königsthron aus war mit einem mageren
Reisestipendium sein Gang ins Weite angefangen, und
da sich ihm in Paris die Welt weitete, in Rom zum
täglichen Gebet das Wort wurde: „könnte ich hier doch
bleiben", bat und bettelte Elise um das Almosen der Ehe
wie seine „Maria Magdalena". Ein Kind war ihr ge-
storben, ein neues ihr geboren. In diesem zwiefachen
Mutterschmerz forderte ihre Güte den Ains, der längst
verfallen; denn sie hatte nicht aufgehört zu hoffen, hatte
in der Selbsttäuschung fortgelebt, obgleich er, an dem
all ihre Güte sich fortschenkte, ihr immer wieder erklärte,
den Preis nicht leisten zu können. Nur widerstrebend
hatte er hingenommen; nur, weil Not nicht nur beten,
sondern auch das Auviel angewandter Güte nehmen
lehrt. Den Preis aber: Hamburg, bürgerliche Ehe und
Zubehör zu zahlen, das war nicht auszudenken.
Schulden und Mangel, Leibes- und Seelennot
hatten dazumal seine übermenschliche Energie bezwungen:
er gab die Schlacht verloren, besiegt und unterlegen
wollte er nach Deutschland zurück. Schwer war der
Abschied von Neapel gewesen, zumal er, wennschon
berühmter Dichter, doch wie ein rechter Hungergeselle
ohne Überrock auf die herbstliche Reise gemußt. Triest,
Wien, Berlin, so wars gedacht; doch in Wien bot das
Schicksal ihm Station für immer. Es halten sich Dinge
ereignet, die am letzten Dezembertag des Jahres 1846
den schriftlichen Niederschlag bekamen; ins Tagebuch
hatte er schreiben können: er habe sich mit Fräulein
Enghaus verlobt; aus Liebe, sicherlich; aber er hätte
dieser Liebe Herr werden können und seine Reise fort-
gesetzt, wenn er nicht in der Neigung dieses edlen Mäd-
chens seine einzige Rettung gesehen habe. Es sei seine
Überzeugung und werde es in alle Ewigkeit bleiben,
daß man jener Kraft in sich angehöre, die einen selbst
beglücke und von der die Welt Nutzen habe. Und diese
Kraft sei in ihm die poetische.
Hymens Fackeln waren nicht entzündet worden.
Der Geist der anklagenden Elise zog einen Bann um ihn
und Christine Enghaus, die herrliche Darstellerin seiner
dichterischen Gestalten. Hymens Fackeln brannten
nicht; aber eine stille, tiefe Glückseligkeit war eingezogen
in ihn. Sein Herz war voll Dankbarkeit. Es konnte
geschehen, daß er sich still weinend fand. Und sie, die
ihm geholfen aus aller Not, zog auch die Verlassene
in Hamburg beglückend zu sich hinan. Rief sie, da ihr
das zweite Kind verstarb, als Gast nach Wien, und in
einjährigem Beisammensein fand sich Seele zu Seele
zum Bündnis. Bis sich das gütigste Herz der Welt
nach innen still verblutet hatte und der, für den dies
Herz allzeit geschlagen, in sein Tagebuch schreiben

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