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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Benn, Joachim: Parallelismus in der Epik
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0211

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Parallelismus in der Epik.

rechter Stellung an den verschiedensten Stellen des
Bildes das Motiv der vertikalen Linie wiederholen,
mit einer bestimmten Armhaltung, deren Linie auch in
den unbelebten Dingen des Bildes wiederkehrt, außer-
dem vielleicht noch ein zweites Motiv betonen, so daß
überall das gleiche Winkelsystem zutage tritt. Damit
ist das größte Ziel erreicht, was Kunst schließlich an-
strebt; ein Ganzes, hier eine Fläche, ist in einen Organis-
mus verwandelt worden, indem es in ein festes rhyth-
misches und damit schönes System gezwungen ist. Die
Fläche ist zum Ornament geworden, was hier besonders
stark wirkt, weil die Einzelheiten, aus denen das Orna-
ment gebildet ist, nicht kleine, leicht zu regierende Dinge
sondern ganze menschliche Körper und viel landschaft-
liche Bilder sind: Das höchste Material ist in die strengste
Bindung gebracht, ohne daß es dabei seine Eigenwerte
verloren hätte.
Was hier mit der Tafel des Malers gelungen ist,
ist nun das höchste Ziel, das der Dichter als Erzähler
sowohl wie als Dramatiker mit seiner Handlung anstrebt:
Er will das Ganze dieser Handlung, abgerundet wie
sie ist — das Dreieck bei Pechstein — durch Parallele
und Gegenführungen von Handlungsteilen zu einen:
rhythmischen Organismus machen, der als Ornament
empfunden wird, ohne daß dabei die Einzelheiten des
Ganzen — die Menschen und Landschaften bei Pech-
stein — in ihrem Eigenwert, in ihrer seelischen Bedeutung
verlören. Die Handlung soll durchaus auf ihren seelischen
Inhalt hin ausgenommen, und dennoch das Ganze
durchaus als Komposition künstlerisch genossen werden.
Natürlich ist Komposition im engsten Sinne des Wortes
auch ein gutes Bild, das, wie das Porträt, nur einen
einzigen Gegenstand hat; allein das rhythmische Gefüge,
das hier hergestellt ist, ist sehr primitiv, es besteht nur
zwischen dem Abgebildeten und dem Rahmen: Der
Blick, der es nachfühlen will, geht zwischen dem einzigen
Gegenstand und dem Rahmen hin und her; und da der
Rahmen gleichsam nur die Abgrenzung von der Wirk-
lichkeit bedeutet, zwischen dem Gegenstand und der
Wirklichkeit. Komposition des höheren Grades entsteht
erst, wo innerhalb des Rahmens, der Voraussetzung
bleibt, die Dinge noch untereinander geordnet und
rhythmisch gefügt sind, so daß der Blick zwischen ihnen
hin und her geht, anstatt nur zur Grenze zu schreiten.
Das gleiche gilt für die dichterische Handlung: Kom-
position ist auch die schlichte Erzählung eines einzigen,
eng begrenzten Vorganges, aber der Blick geht hier
noch zwischen Stoff und Wirklichkeit hin und her. Große
Komposition entsteht erst, wenn diese Handlung noch
in sich durch parallele oder umgekehrt-parallele, gerade
entgegengesetzte Vorfälle rhythmisch geteilt ist. Da muß
jede Person ihren Gegenspieler haben, jedes Ereignis
dadurch hervorgehoben, in seiner Bedeutung vertieft
werden, daß es bei anderen Personen, die ähnlich
geartet sind, ähnlich eintritt, bei Personen, die anders
geartet sind, entgegengesetzt eintritt. Was in den
früheren Bildern Hodlers als literarisch, symbolisch
erschien, das wird hier zum Gesetz: Mit kleinen Unter-
schieden — die Handhaltung bei Hodler — sollen parallel
gestellte und geartete Menschen in parallele Situationen
gebracht werden, damit diese Situation durch die

Wiederholung prägnanter hervortritt und zum unver-
geßbaren Grundmotiv des ganzen ornamental gebun-
denen Organismus wird.
In naturalistischen Zeiten geht der Mensch darauf
aus, sein Wissen um die Natur der Dinge, die ihn:
nicht mehr ausreichend scheint, neu zu vertiefen, und
da das zuerst immer am Einzelobjekt geschehen muß,
wird die Dichtung zur Studie, zum Porträt. Je sicherer
der Mensch sich in seiner Einsicht fühlt, um so eher ver-
sucht er dann wieder, frei mit seinen Einzelkenntnissen
schaltend umfassende organische Zusammenhänge zu
schaffen; und in den klassischen Zeiten war der Parallelis-
mus stets das vornehmste Kompositionsmittel. Soll
das an einem kurzen Gang durch die deutsche Dichtung
bewiesen werden, so ist das schönste Beispiel aus der
alten deutschen Dichtung wohl das Märchen vom
Machandelbaum und dem kleinen Knaben, der von der
Stiefmutter getötet, von: Vater unwissentlich gegessen,
von der Schwester aber aus den Knochen wieder zu-
sammengesucht als Vogel aus den Asten des Machandel-
baumes aufsteigt: Einmal singt der Vogel das Lied,
in dem die Missetat ausgesprochen wird, über dem Hause
eines Goldschmieds, und er wiederholt es dem nur
gegen eine goldene Kette. Zum zweitenmal singt er
es vor dem Hause eines Schusters und wiederholt es
dem nur gegen ein paar rote Schuhe. Zum drittenmal
singt er es vor zwanzig Steinmetzen, die in Gruppen
langsam aufhören zu arbeiten, und wiederholt es nur
gegen das Geschenk des Mühlsteins, an dem sie arbeiten:
Worauf er zum Hause des Ehepaars fliegt, und, da die
von dem Gesang seltsam angezogen herauskommen,
dem Vater zuerst die Kette hinunterwirft, der Schwester
die Schuhe, der Mutter den Mühlstein, der sie erschlägt —
denn die Reihe, in der die Geschenke eingesammelt sind,
kehrt sich hier um. Der strenge Parallelismus, in den:
diese Geschichte verläuft, mit dem Liede, das sich immer
wiederholt, gibt mit den: Motiv des zu den Äpfeln
hinabrollenden Kinderkopfes dem Vorgänge eine Sil-
houette, die sich nicht mehr vergißt. — Noch herrlicher
wirkt der Parallelismus fast in der Geschichte von der
Königin „Crescentia", die, von Leo Greiner in seine
Übertragungen altdeutscher Novellen ausgenommen,
künftig als eine der schönsten deutschen Dichtungen wird
gelten müssen: Zweimal ist „Crescentia" eine umworbene
Frau an einem königlichen Hof, zweimal wird sie um
ihrer Tugend willen verleumdet, ins Wasser geworfen,
aber auch zweimal gerächt, indem der irregeleitete
König mit seinem Ratgeber sofort von schwerer Krank-
heit befallen wird. Zweimal wird die Frau dann noch
gerettet, Petrus selbst erbarmt sich ihrer und gibt ihr
die Fähigkeit, den zu heilen, der ihr laut beichtet; worauf
sie an den einen Hof zurückkehrt und die Erkrankten
heilt, den bösen Berater aber auch durch seine Beichte
entlarvt, an den anderen Hof zurückkehrt, auch hier
heilt, entlarvt und also glücklich zum Gatten zurück-
kehrt. — Dreimal muß schließlich in dem prächtigen
Schwank von den drei Mönchen von Kolmar eine
Frau hören, daß man sie nur gegen ihre Frauengunst
absolviert; dreimal läßt sie unter Beihilfe des Gatten
einen Mönch in einen heißen Zuber springen und
dreimal einen toten Mönch ins Wasser werfen, indem

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