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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Altenberg, Peter: Ausgewählte Skizzen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0121

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Peter Altenberg: Ausgewählte Skizzen.

daß er schön singt-! Er ist dagesessen und hat
gesungen-."
Margueritta: „Rosie hat eine Altstimme und dichtet
sich selber die Lieder. In der Früh singt sie manchmal:
,O, meine Berge, meine Berge-Aber über-
trieben ist sie doch-!"
Die Mutter sagte: „Das ist doch kein Lied: ,O
meine Berge^-!?"
Rosie sah ihre Schwester an. Sie war erstaunt,
verlegen.
Margit sagte: „O ja, das ist ein Lied-! Mama,
das verstehst du nicht, das verstehen nur wir. Ein Lied
ist es, nicht wahr, Herr --?!"
Der junge Mann sagte: „Ja!"
Er dachte: „Es ist eine tönende Menschenseele —
— ein Lied!"
Er blickte in die Welt zweier Kinderseelen.
Margueritta war die rosige Morgenröte — —
man konnte es nicht anders sagen.
Aber die andere, die Sennin am Patscherkofl, die
bleiche zarte, die Zither lernen wollte und die mit
einer Altstimme sang: „O meine Berge, meine Berge"
._?!
Es wurde Abend.
Er saß zwischen den beiden Kindern auf einer Bank
an der Esplanade.
Margueritta legte ihr blondes Köpfchen auf seinen
Schoß und schlief ein-.
Rosie saß da und blickte auf den See hinaus-
Beide weiße süße Kinderseelen waren ihm zugeflogen.
Aber wirklich liebte ihn nur Margueritta und wirklich
liebte er nur sie.
Was ist das „wirklich"?!
Über der anderen schwebte das Schicksal. In ihr
sang es: „O, meine Berge-". Und doch küßte
sie ihn so sanft und sagte: „Du, Herr Albert-"
Aber den Herrn von Bergmann mit dem gelben
Fellchen und den krummen Beinchen und den riesigen
Ohren-den liebte sie „wirklich"!
Wenn er vorüberwatschelte, hatte sie eine tiefe
Sehnsucht — — —. Sie stand da mit ihren ver-
schmähten Juckerstückchen und warf sie ins Wasser-
Der junge Mann fühlte die Tiefe.
Die Mutter sagte einfach: „Rositta ist schwer zu
behandeln. Ich sehe darauf, daß sie viel schläft. Ich
möchte Aufregungen von ihr ferne halten-.
Auch das Mutterherz fühlte das „schwebende Schick-
sal".
Der junge Mann behandelte beide gleich. Beide
küßte er, mit beiden ging er Hand in Hand über die
Esplanade, mit beiden ruderte er in den Abendstunden
langsam auf und ab-. Beiden schenkte er zum
Abschied, im Herbst, zwei goldene Kuhglöckchen als
Brosche, mit dem eingeätzten Worte „See-Ufer".
Rositta sang am nächsten Morgen in der Stadt mit
ihrer Altstimme: „O meine Berge, meine Berge —!"
Es war doch ein Lied-ein Lied!
Margueritta hörte zu und dachte: „Du Dichterin,
du Sängerin-!"
Dann sagte sie einfach: „Rosie, du bist übertrieben
_ — _!"

Mutter und Tochter.
(Aus: „Neues Altes".)
Ich sah eine Mutter tief verzweifelt, daß ihr ge-
liebtes Töchterchen keine „gute Partie" machen wollte
Sie zankte mit ihr, aber in ihrem Innersten hatte
sie dennoch Rührung und Anerkennung.
Sie sagte zu ihr: „Das Leben ist nun einmal so,
ich habe es auch einst auf mich nehmen müssen, meine
Liebe,-."
Die Tochter blickte die Mutter schief und bitter-
böse an.
Dann heiratete sie aber doch endlich einen reichen
Mann, der sie betreute und beschützte.
Da sagte sie zu der Mutter: „Ich hatte einst falsche
Vorstellungen, Ideale. Ich bin nun ganz glücklich
und zufrieden-."
Da blickte die Mutter ihre Tochter schief und bitter-
böse an-.
Die Vorstadtwohnung.
(Aus: „Bilderbögen des kleinen Lebens".)
Sie hatte alles, alles, Frieden, Glück und Ruhe.
Man hatte sie selbstlos errettet aus Zerfahrenheiten,
aus der Gemeinheit der Menschen vor allem! Aber
sie wohnte draußen in der Vorstadt, abseits, exiliert,
verbannt! Sie kam immer in die „innere Stadt",
in die „Oase" dieser Wüste „Vorstadt"! Und dann
pilgerte sie müde wieder hinaus. Ihr Mann suchte
ihr ihr Leben zu erleichtern, in jeglicher Beziehung.
Aber von dieser Tragödie „Vorstadtwohnung" erfuhr er
nichts. Er spürte es nicht, und sie ließ sich nichts merken
von ihrem kleinen großen Grame-. Die „Innere
Stadt" war ihr Paris.
Aber eines Tages sagte er zu ihr: „Anita, ich habe
einen reichen Klienten heute erworben, für Jahre hinaus,
wir können nun in die ,Innere Stadtt ziehen, ich habe
bereits eine Wohnung genommen in der Wallnerstraße.
Da setzte sie sich hin und begann zu weinen vor
Glück —.
Und ihr Gatte sagte: „Aber bitte, wenn du lieber
hier bleibst, Anita, ich dachte nur —-"
Da sagte sie zu ihm: „Dummer Mensch!" und sank
vor ihm auf die Knie-.
Die Insel der Seligen.
(Aus: „Bilderbögen des kleinen Lebens".)
Nach vieler Irrfahrten herztötender Beschwerde
langte ich nun bei einer an! Ein Herz von Gold, ein
Stahlcharakter.
Sie hatte einen Gatten, süße Kinder, liebte fanatisch
ihre Häuslichkeit. Holz, Messing, Porzellan, Glaswaren,
Kupfer, Silbergegenstände, Teppiche, Japanmatten in
ihren Zimmern waren ihre „Märchenwelt". Sie
pflegte, hegte alles.
Auch war ein Hündchen da, ein mehrfach prä-
miierter Foxterrier, mit dem sie sich verstand und der
sie liebte-. Sie brauchte bloß zu blicken und
er wußte!

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