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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Bab, Julius: August Bürger, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0124

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August Bürger.
hatte er den ganzen kalten, abwehrend höflichen Emp-
fang, mit dem sich der Weimaraner störend Fremdes
fernzuhalten wußte. Bürger machte ein paar grimmige
Verse wider „Das Alltagsstück Minister" — er begriff
noch nicht, wie es gerade der Genius des Dichters war,
der sich feindlich fremd von ihm abwandte, von diesem
Dichter, dem das Geniewesen, das Goethe ein Ausgang
gewesen war, zum Abgrund wurde.
Zwei Jahre später aber erschien in der Jenaischen
Allgemeinen Literaturzeitung eine Kritik über Bürgers
Gedichte, deren Verfasser Friedrich Schiller, der
Dichter der Räuber, war und deren sachliche Bedeu-
tung selbst Bürger in geheimen Stunden aufgegangen
sein muß. Kleine Geister haben ihrer Art gemäß einen
privaten Feindschaftsakt in dieser Rezension gesucht,
die doch in ihrer großzügigen Auffassung wie in ihrem
vornehmen Ton das wahre Muster einer bedeutenden
Kritik ist. Wenn man nur wenig aus Schillers noch
rationalistisch durchfärbter Zeitsprache in unsere Aus-
drucksweise übersetzt, so enthält Schillers Diktum auch
uns noch die volle Wahrheit über den Dichter Bürger:
Es fehlt diesem reichen Talent für das Höchste der Kunst
an einer menschlichen Qualität, einer geistigen Über-
macht! Was ich vorhin das Fehlen der Transparenz,
des symbolisch aufweitenden Klanges in Bürgers Lyrik
nannte, was Schiller mit der mangelnden „Idealität",
dem Überwuchern des „Individuellen und Lokalen",
dem zu Undistanzierten der Affekte meint — all das
kann man sehr wohl darin gegründet finden, daß Bürgers
starkes Temperament sich wesentlich an der sinnlichen
Oberfläche der Dinge hielt, daß er im letzten Sinne
eine untiefe, eine (trotz seiner zeitweiligen Begeisterung
für Kant) unphilosophische Natur war. Er hat die großen
Worte von Tod und Ewigkeit, Tugend und Seele
nie mit erneuerndem Gefühl durchlebt, er hat sie oft
und stark, aber immer nur in der^KonvLntion cher Zeit
angewendet — rhetorisch. Und deshalb war er auch
im Kulturellen nicht, schöpferische Unsere „Klassiker"
aber hatten erkannt, daß das Volk, für das sie in ihrer
Jugend hatten singen wollen, erst zu schaffen sei —
als Kulturvolk heißt das, denn die hohen Werke
für die man sich begeistert hatte, dieser Homer, dieser
Shakespeare waren ja Offenbarungen einer in sich
satten Kultur. Und so begannen sie zuerst in sich,
aus sich heraus Kultur und Volk zu erschaffen.
Bürger sah diese Kluft nicht, er wähnte mit dem bloßen
Anlauf seines Gefühls dieser zerstörten deutschen Ge-
sellschaft Volkspoesie schaffen zu können — er begriff
nicht, daß im hohen Sinne Shakespeares oder Homers
gar kein Volk da sei, daß man es erst aus dem eignen
Geist heranbilden müsse, und so fiel die Popularität
seines Tones bald ins gebildet Leere, bald ins Platt-
gemeine. — Die Kunst der Klassiker stellte erst das
Vorbild des Geistig-Gefühlvollen, der großen und schönen
Seele auf, zu dem die Nation wachsen sollte. Und
Bürger tat nicht mit an diesem wichtigsten Werk. Das
alles steht (irnxlioite oder sxplioits) in Schillers Re-
zension. Der Dichter der „Räuber" durfte so sprechen
— denn er war, von Armut, Krankheit und wildem
Blute gerade wie Bürger geplagt, durch geistige Leiden-
schaft allein Herr seiner Situation geworden. Was

er spricht, ist Wahrheit, und so ist seine Kritik so gerecht,
wie Kritik nur sein kann: das heißt sie kann vor jeder
Instanz bestehen — nur nicht vor dem Daseinsrecht
des Kritisierten! Eben weil den Einwand Schillers
durchaus kein Geschmacks- oder Schulunterschied erklärt,
weil Schiller auf das tiefst Menschliche, den letzten
künstlerischen Wert Bürgers zielte — und recht zielte,
eben deshalb mußte er höchst grausam ins Herz des
Kritisierten treffen, das doch ein lebendig schlagendes,
lebensberechtigtes, in tausendfach anderem Sinne
lebenswertes war. (Das ist die tragische Schuld jedes
starken Kritikers; es ist oft genug seine Pflicht, zu
töten.)
Tatsächlich erlag Bürger in seinem erschütterten
Selbstgefühl dieser Kritik. Er schlug mit unverständigen
Entgegnungen und groben Schmähversen um sich —
und kapitulierte innerlich doch so ganz, daß er, die
Schillersche Meinung äußerlich mißdeutend, seine Ge-
dichte für eine dritte (erst nach seinem Tode erschienene)
Ausgabe durch schönlich glättende Korrekturen verdarb.
Womit er der geistigen Höhe gleich fern blieb und sich
um sein Bestes brachte, die physische Kraft, die ihn von
unten emportrug, den robusten Naturkern. — In Zorn
und Gram, Kummer und Elend, schweren Sorgen
und langen Leiden schwand Bürger dahin. Am 8. Juni
1794 starb er. — Fünf Tage später schrieb Schiller
jenen Brief an Goethe, der den Beginn ihres Bünd-
nisses bildete, des Bundes, auf dessen Leistung heute
die deutsche Kultur steht. Es ist nicht bedeutungslos,
daß Goethes und Schillers Leibeserben zum Adel
der Nation emporstiegen, während Bürgers Nachkommen
im Proletariat versanken: zwei seiner Enkelkinder
lebten um 1850 als Blumenarbeiterinnen in Leipzig. —
So bis ins dritte Geschlecht rächte sich der Genius der
Zeit an dem Manne, der ihm nicht genügte — und der
doch kein geringer und schlechter und noch weniger
ein alltäglicher Mensch war. Nur schlecht gestellt mit
all seinen Gaben, und mißgeschickt in all seinen Leiden-
schaften war er — vielleicht einer der unglücklichsten
Menschen, die je gelebt.
Mehr als mit seinen glücklicheren Zeitgenossen hat
Bürger gemein mit einem Vorgänger: mit dem großen
deutschen Dichter Christian Guenther. Bürger
hat wohl um diese Verwandtschaft gewußt, hat er
doch Namen wie Versmaß seines größten Gedichtes
huldigend dem Werke des andern entlehnt. Der Lieb-
haber Leonores ist dem Geliebten Mollys freilich als
Lyriker sehr weit überlegen — Guenther, der das
rastlos schweifende Leben, das Bürger oft wollte, auch
wirklich geführt hat, besaß jene Inbrunst zu den letzten
Tiefen, die ein Erlebnis symbolhaft durchglühen kann;
seine Seele schwang immer zwischen den letzten Rätseln
des Todes und der Zeugung, sie hatte kosmischen Klang.
Und Guenther ist, wenn auch oft nur mit einzelnen
Zeilen seiner Gedichte, zu den größten lyrischen Meistern
der neuhochdeutschen Sprachkunst zu zählen.
Ich habe genug!
Lust, Flammen und Küsse
sind giftig und süße
und machen nicht klug.
Solche Strophe, um deren Gehalt oft genug sein Dichten

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