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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Zweig, Arnold: Das Postpaket
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0161

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Das Postpaket.

Dieser Götz gehört noch in Goethes Sphäre — ob dieser
Weisungen, das ist mindestens fragwürdig. Für ihn,
Goethe, und seine Jeit war sicherlich selbst ein so beein-
flußbarer und" — er stockte ein wenig, überwand und
gab dem folgenden Wort einen starken Nachdruck —
„unmännlicher Mensch etwas Dezidierteres. Diese Art
von Weislingen ist für uns Vorbehalten geblieben,"
schloß er mit befremdender Bitterkeit.
Claudia Eggling fühlte alles, was aus diesem Ton
hervorging, auch hatte sie den starken Affekt wohl be-
merkt, mit dem der lang Bekannte an der Person Weis-
lingens teilgenommen hatte, solange das Spiel gegangen
war, aber da sie diese sonst willkommene Erörterung
zu verschieben wünschte, bis die Sachlage vertraulicher
und beherrschbarer war, lenkte sie ab: „Wir werden
uns darüber streiten müssen, ich bin garnicht Ihrer
Ansicht. Ich höre ja, wie sie den armen Weislingen
verdammen."
„Verdammen? Ach nein, das ist mir ferne, denn ..."
„Jedenfalls lehnen Sie ihn ab. Nun, davon nachher,
ich Barbar habe jetzt nichts als Hunger, und Mama
ließ keinen Iweifel übrig, daß auch für Sie ein Butter-
brot da sein würde, wenn Sie uns so spät noch Gesell-
schaft leisten wollen."
Ein Gefühl von Freude und ein drängendes von
Unbehagen erfüllte ihn, er wußte wieder einmal nicht,
ob man wirklich auf ihn als gern begrüßten Gast sah,
oder ob das Gefühl des Wohlseins in diesem schönen
Heim ihn über eine schmähliche Rolle als aufdringlicher
und lächerlicher Besuch hinwegblendete. Er sagte
leise: „Ihre Frau Mutter ist sehr gut zu mir... aber
ich weiß nicht... ich hatte den Entschluß fassen wollen,
nicht mehr so häufig bei Ihnen zu sein . . ." Ein
beißender Haß gegen sich und eine augenblickliche Wut
über seine revoltierenden Geisteskräfte fraß an seinem
Herzen: das hatte ganz anders geformt und gesagt
werden müssen. Nun klang alles falsch.
„Langweilen wir Sie?" fragte sie befremdet, doch
mit einer ungläubigen Miene, die davon wieder etwas
wegnahm.
Er wischte mit der Hand über die Stirn und mur-
melte: „Sie wissen, wie sehr Sie unrecht haben, Fräulein
Claudia. Aber ich bin nun schon so oft und so lange
bei Ihnen," und er redete endlich etwas freier, „daß
ich nicht begreife, wie Sie und Ihre Frau Mutter. ..
Sie wissen doch, ich bin nun einmal kein Elegant . . .
Sie haben so viel Nachsicht für mich . . ." Er konnte
nicht weiter, und sogleich lachte sie ihr Helles, reizendes
Gelächter eines jungen Mädchens.
„Nachsicht, lieber Doktor Rohme? Aber wofür denn?
Sie haben noch nie ein Nippes zerschlagen und weder
Tee noch Wein auf das Tischtuch gegossen."
„Aber ich könnte es jeden Augenblick tun, ich be-
wundere mich selbst in diesem Augenblick," lächelte er.
Ihre Heiterkeit tat ihm sehr wohl.
„Nein, denken Sie nicht stets an das, was sein könnte.
Sie machen sich überhaupt zu viele Gedanken über sich,
ich finde, man muß darin maßvoll bleiben;" und sie
nahm einen absichtlichen Lehrton an, an dem er seine
Freude hatte.
„Ihre Frau Mutter hat also auf mich gezählt?"

„Mama und ich bescheidenes Wesen. Hatte ich
Ihnen nicht einen Platz in unserer Loge angeboten?
Ich konnte ja nicht ahnen, daß Sie den Entschluß hatten
fassen wollen, uns oder mich zu negligieren." Sie
wußte gut, daß ihm dieser Klang des Spottens an-
genehm und verständlich sein würde; es lag ihr daran,
die Leichtigkeit einer Konversation wiederherzustellen,
und er ging darauf ein. Er schüttelte vergnügt den
Kopf, so daß ihm eine lange Strähne rötlichen Haares
in die Stirn fiel, über eine weiße, sehr durchdachte
Stirn, deren Haut viele Sommersprossen zeigte; er ließ
den kurzen, ebenfalls rotblonden Schnurrbart einen
Moment durch die Hand gleiten und nahm ihren
munteren Spott an, indem er ihn gegen sich kehrte.
„Sie haben also gegen mich recht behalten. Während
ich mich ankleidete, habe ich mir bewiesen, was ich tue,
sei Unfug, denn ich würde mich ja doch nicht in Ihrer
Loge zeigen."
„Sehr unrecht, mein Herr Doktor Rohme," sagte
sie strafend.
„Ich wollte mir, da ich endlich am Theater war,
an der Kasse nämlich, einen Parkettsitz kaufen, aber es
war ausverkauft, nichts mehr da."
„Nun also," lächelte sie. Seine großen grauen
Augen schienen ihr heute besonders matt zu blicken.
„Es gab nur noch Stehplätze und Logen. Das
ging beides nicht, das erste mochte ich nicht, und das
zweite konnte ich nicht, denn ich dachte, es wäre beinahe
eine Beleidigung."
„Sicherlich," war ihr Einwurf. „Ich hätte es Ihnen
nie verziehen," und sah ihn weiter an.
„So beschloß ich, nach Hause zu gehen."
„Pfui," verurteilte sie. Hin und wieder fiel grelles
Licht durch die Fenster hinein, im schnellen Fahren.
„Aber nun entdeckte ich, während ich zwei- oder
dreimal im Foyer auf und ab ging, daß ich mich schon
seit einigen Tagen innerlich darauf gestimmt hatte,
diesen Abend im Theater und . . . mit Ihnen zu ver-
bringen und spürte die Macht des tyrannischen Vor-
satzes. Außerdem stieß ich fortwährend an Leute, die
hineinwollten, während es keiner Seele einfiel, hinaus-
zugehen. Da ließ ich mich denn tragen und stand vor
Ihrer Loge, ehe ich es recht wußte, während ich aus-
schließlich dachte, daß ich doch hinauswollte, nach Hause.
Und wenn ich selbst hätte öffnen müssen, so wäre mir
das vermutlich peinlich gewesen, so unmöglich, daß ich
vielleicht doch noch auf die Straße gefunden hätte,
aber gleich machte mir ein Diener die Tür auf und Sie
empfingen mich leise, denn es hatte natürlich schon
begonnen. Aber die Hand gaben Sie mir doch noch,
Fräulein Claudia."
„Und warum nicht? Sie störten ja niemanden.
Es ist hübsch, daß man ungeniert ist auf diesen Plätzen
— wie sagt der Engländer so geschmackvoll? stuils
sagt er. Aber ich glaube, da sind wir. „Endlich," und
sie seufzte befriedigt. Das Automobil fuhr mit einer
scharfen knirschenden Kurve durch das Gartengitter und
vor das Tor der Villa. Der Diener öffnete, es war
kalt und der Atem dampfte.
Or. Rohme ging allein in dem" behaglich gestalteten
Jimmer umher und dachte nach, gesellschaftsmäßig an-
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