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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Meßlény, Richard: Giovanni Giacometti
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0139
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Giovanni Giacometti.

Bäumen entlang — wie am ersten Tag. Das Erfttägliche, die Ahnung des Ebenerschaffenseins ruft
auch die fromme Wirkung Giacomettischer Malerei hervor. Es wird alles zum Heiligenbild in
seiner Hand, man weiß nicht wie, warum. Eine Mutter sitzt im Garten und säugt ihr Kind. Das
Laub ringsum von Farbe schwer. Das Kleid der Mutter darf garnicht anders als dunkelblau
sein, um das lastende Gewicht des massigen Grün zu stützen. Dies Blau scheint uns garnicht
frei gewählt. Es wächst notwendig aus dem Grün hervor, so gut wie aus dem blauen Kleide
selbst der aufleuchtende, muttermilchduftige Busen in traumzartem Licht von gelb und hellviolett.
Um das Haupt der Mutter, hoch im Laube aber schwimmen klartönend hellrote Rosen umher, alle
rund, alle leuchtend im Grün, alle hindrängend zum Kopfe der süßen, nahrungspendenden Frau:

So ist Heiligkeit
der Luftkreis dieser
Bilder, gleichgül-
tig ob sie ein Berg-
dorf oder zwei alte
Bauern oder eine
Mutter oder eine
Alte darftellen, Hei-
ligkeit strahlen sie
aus, kraft der über-
natürlichen, kunst-
gesteigerten Lebens-
fülle ihrer farbigen
Welt. Darum ist
von Giacomettis
Bildern wenig und
stets dasselbe zu
sagen, das jeweilig
Neue aber immer
nur zu sehen.
Dem begriff-
lichen Ausdruck bie-
tet jedoch Giaco-
metti neue Flächen,
wenn er sich von
seinem normalen

O 83neta iVIaria — ora pro nolfts.


Giovanni Giacometti.

Das rote Haus.

ein liebevoll be-
schaulicher ist, ent-
fernt, um ins ge-
waltig Tätige, ja
ins Monumentale
hineinzugreifen.
Das Bestreben nach
Monumentalität ist
in seinem hier ab-
gebildeten Werk
„Die Ringer" un-
verkennbar, mehr
durch die anti-
thetische Nebenein-
anderftellung der
kalten und warmen
Farbe, als durch
das allerdings auch
recht ansehnliche
Format. — Die
beiden im Ring-
kampf verschlunge-
nen Knabenkörper
ergeben zusammen
mit ihrer Schatten-
masse ein schiefes
Parallelogramm,
das quer mitten

Seelenzuftand, der in das geräumige
Quadrat des Bildes diagonal hineingeftellt ist. Das Problem der Raumverteilung, das Geometrische
kommt hier eigentlich garnicht in Betracht, es ist nicht gelöst, sondern aufgehoben und dies durchaus
dem Ganzen, dem Geiste des Werkes entsprechend. Nur der abstrakte, einheitlich durchleuchtete, leere
Raum ist gegeben, den der Rahmen wohl begrenzt, ohne ihn abzuschließen.
Die feinen, zarten Knabenkörper, deren Muskelspannung, dem Stoffe zu Trotz, etwas Schmeicheln-
des, Ungewaltsames ausdrücken, bleiben in der Linienführung dem innersten Wesen des Künstlers
treu und folgen kaum merklich jeiner besonderen, im Falle vorliegenden Absicht. Allein die anti-
thetische Behandlung der Farbe ist wahrhaft dem Geiste der Monumentalität entsprungen. Der
abstrakte Hintergrund loht im heißesten Rot. Man dürfte an den kraßbeleuchteten Sandboden
einer ungeheuren Manege denken. Von diesem lohenden, brennenden Rot ist der Künstler mit

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