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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0088
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freilich nicht so, wie es ihrer Absicht und'ihrem Wert entspricht.
Es wäre nicht zu stolz gewesen, wenn Bab seinem Titel den Zusah
gegeben hätte: Sechs Reden an das deutsche Volk; es
ist seit langem keine Schrift erschienen, darin die Dinge unseres
Schrifttums so klug und herzlich aus der Literatensphäre in das
Lebensgebiet unseres Volkes gebracht werden, und ich könnte mir
wohl einen Dolksfreund großen Stils denken, dem dieses Buch
als Sauerteig einer Verbreitung in Zehntausenden von Cxemplaren
wichtig genug wäre.

Fortinbras heißt jener Mann im weißen Panzer, der am
Schluß von Hamlet an der Spihe seiner Soldaten auftritt und
„mit einer Geste völliger Selbstverständlichkeit die Krone einsteckt,
die ihm niemand bot". Dieser Fortinbras steht aber auch schon
am Anfang des Dramas, und man folgtBab gern, ihn als eine HLchst
wichtige Figur des ganzen Stückes anzusehen, den „wirklichen,
tätigen Menschen", den der Dichter seinem Iweifler Hamlet gegen-
überstellt und von dem er den unglücklichen Däncnprinzen nach
seiner Begegnung mit ihm so sagen läßt:

Was ist der Mensch,

wenn seiner Ieit Gewinn, sein höchstes Gut
nur Schlaf und Cssen ist? Cin Vieh, nichts weiter.

Gewiß, der uns mit solcher Denkkraft schuf,

voraus zu schaun und rückwärts, gab uns nicht

die Fähigkeit und göttliche Vernunft,

um ungebraucht in uns zu schimmeln. Nun,

sei's viehisches Vergessen, oder sei's

ein banger Zweifel, welche zu genau

bedenkt den Ausgang — ein Gedanke, der,

zerlegt man ihn, ein Viertel Weisheit nur

und stets drei Viertel Feigheit hat — ich weiß nicht,

weswegen ich noch lebe, um zu sagen:

„Dies muß geschehen"; da ich doch Grund und Willen
und Kraft und Mittel hab', um es zu tun.

Beispiele, die zu greifen, mahnen mich: !

So dieses Heer, von solcher Zahl und Stärke,
von einem zarten Prinzen angeführt, i
des Mut, von hoher Ehrbegier geschwellt,
die Stirn dem unsichtbaren Ausgang beut,
und gibt sein sterblich und verletzbar Teil
dem Glück, dem Tode, den Gefahren preis,
für eine Nußschal'. Wahrhaft groß sein, heißt,
nicht ohne großen Gegenstand sich regen;
doch einen Strohhalm selber „groß verfechten,
wenn Ehre auf dem Spiel".

Diese seltsamen Worte des Hamletdichters sind die Grundlage,
auf der Bab seine Schrift zu einer großzügigen Kritik der Ro-
mantik aufbaut. Jhm ist Hamlet der Typus der romantischen
Menschen und indem cr ihm Don Quichote mit der „gleichen lln-
fähigkeit" an die Seite stellt, „Geist und die Realität zur Deckung
zu bringen", versucht er eine Herleitung der „romantischen Situa-
tion" aus dem Iusammenbruch der mittelalterlichen Kultur, zu-
gleich das Höchste leistend, was wir von einer Kritik verlangen
können: die positive Sicherung eines Maßstabes. Diesen Maß-
stab findet er in Kant und Goethe und der von ihnen versuchten
„Sicherung der Wirklichkeitswerte gegen den Ansturm der jenseitigen
Religiosität":

„Daß die Welt, in der wir leben, nichts als ein trügerischer,
zu überwindender Schein wäre, hinter dem allein wahres
Wesen zu suchen sei — das wurde seit dem Ende des Mittelalters
immer deutlicher als das Wesen christlicher Lehre. Dagegen
kommt durch Kant wie durch Goethe in unsere Erfahrungswelt
Sicherheit, in unser irdisches Handeln Wert zurück. Eine neue
Religiosität bereitet sich, die den diesseitigen, den aktiven Jn-
stinkten der Abendländer nicht mehr feind ist. Jndessen wir uns
handelnd in ihr bewegen, erfahren wir den Sinn der Welt,
erfüllen wir unsere Sendung in ihr. Kant verkündet das Primat
der praktischen Vernunft, und Goethe nennt das „immer-
strebende Bemühen" den Weg der Erlösung.

Dieses auf zwei verschiedenen Wegen glcich stark und sicher
gewonnene neue Gefühl von der göttlichen Größe dcr prak-
tischen Welt, dieses beschwingende Gefühl, daß jede wahre Hand-
lung zugleich ein heiliges Werk sei, dieses Gefühl ist es, was um

das Iahr 1790 eine neue Kultur für die Welt sicher zu stellen
schien, und ein ganzes Geschlecht von Geistesbelden schuf. Auf
diesem Boden sind Schiller und Fichte und die Humboldts er-
wachsen. Die Möglichkeit einer neuen Religion und einer ein-
heitlichen Kultur schien gegeben. Da aber trat das Ereignis
ein, in dem offenbar wurde, daß die europäische Menschheit mit
ihrer alten Religion noch nicht fertig war. Mit jener christlichen
Religion, zu der Kant ein sehr indirektes und Goethe gar kein
VerhälMis hatte. Die Welt der jenseitigen Religion, die das
HLchste nicht sieht in der Entfaltung, sondern in der Überwindung
des Lebens, nicht im weltlich tätigen, sondern im reinen ruhenden
Geiste, diese Welt erhob sich noch einmal. Sie bewies, daß in
ihr noch Lebenskräfte steckten, die sich erst auszuwirken hatten,
daß sie noch zuviel Keime zu verstreuen hatte, um schon sterben
zu können. Deshalb sammelte sie sich noch einmal zu neuer Ge-
stalt und stellte sich dem Geist der Kant-Goetheschen Kultur
entgegen. Und diese christliche Renaissance benennen wir in der
Literatur mit dem Namen Romantik.

So sehen für Bab die beiden Mächte aus, deren Kampf das
geistige neunzehnte Iahrhundert bis in unsere Tage bewegt, und
die Darstellung dieses Kampfes ist — wenn man so sagen will —
der theoretische Teil seiner Schrift, die dem Romantiker vom
Schlage des Novalis mit Bewunderung und Liebe gerecht wird,
um beim romantischen Unterhaltungsdichter der „fahrenden
Scholaren" mit Verachtung zu endigen.

Nicht aber nur zur Dekoration sind der Schrift als Motto die
Worte Fortinbras vorausgestellt:

„Jch habe alte Rechte an dies Reich,
die anzusprechen mich mein Vorteil heischt."

Es ist kein Leitfaden der Romantik, was Bab wollte, sondern
eine Kampfschrift gegen ihr Ergebnis, die Hamletnatur, wie sie
„tiefsinnig und unglücklich, bedenkend und tatlos, zynisch und schwär-
merisch", immer noch „verführerisch vor denen steht, die heute nach
einer rechten Stellung im Leben suchen". „Dem Hamletideal das
Bild des Fortinbras entgegenzustellen, zu zeigen, wie in hundert-
jähriger Bemühung tatwillige Geister solch Bild immer wieder
erhoben haben, als eme Flagge, die abruft vom romantischen Ver-
sinken, hinruft zu Wirklichkeit und Willen, das zu zeigen ist der
letzte Sinn der Betrachtungen, zu denen ich führen möchte."

Jch weiß sehr wohl, es ist kein Friedrich Nietzsche, der diesc
Reden hielt, sie sind weder so glänzend stilisiert wie dessen Absage
an den Geist des Christentums, noch so von genialem Haß erfüllt,
sie sind gesprochen um ihrer Überzeugung willen; aber diese Über-
zcugung ist ein Lebensbrot, das ich jedem meiner Freunde — stehe
er, wo er wolle — verordnen möchte. Cs mag manchem sauer ein-
gehen, daß schon die ürgroßmutter unserer neugeborenen „Neu-
romantik" eine Krankheit des Lebensgefühls gewesen sein soll,
und Sätze wie dieser: „Jhre Romantik (die der Schlegel und Novalis)
ist eine sehr geistige, aber keine „Kultur"-Bewegung; denn Kultur
ist die Bebauung der Crde; Romantik aber will die Derbindung
des Mcnschlichen mit dem Überirdischen, der Seele mit dem in ihr
offenbarten Göttlichen, und hält körperlich organisiertes Leben
nur als einen Durchgang zum Unendlichen", sind eine Herausfor-
derung der Seele, und klingen sehr nach jenem eisenklirrenden
Fortinbras, vor dem Ricarda Huch in ihrer „Blüte der Romantik"
Hamlet den Platz räumen ließ. Die herausgeforderte Seele wird
die Antwort nicht schuldig bleiben: aber wenn nicht alles trügt,
wird sie es nicht leicht haben in der kommenden Zeit: die Stunde
ist da, wo sie bessere Antworten haben muß als die Bequemlich-
keiten des Monismus, und kein Zweifel, daß sie nach andern Dingen
als Schlagworten sucht. Wie ich neulich hier sagte: „Das Höchste,
was der Menschengeist über sich vermochte", „Gott tritt wieder inS
Leben ein"; „aber es ist nicht mehr die Religion des Todes", wie
Schlegel an Novalis schrieb, sondern des Lebens. Wer Augen und
Ohren hat, muß es merken, daß dieses Fortinbras-Buch eins von
manchen Ieichen einer Zeit ist, die wieder einmal die Frage der
Bildung im höchsten Sinn, in dem der Religion stellt, einer Religion
freilich, darin nicht der Gott Zebaoth des Alten Testaments, sondern
der Schöpfer aller Dinge lebendig wird. R. T.

Verantwortlich: Wilhelm Schäfer. — Druck und Verlag: A. Bagel, Düffeldorf. — Kunstdruckpapier! I- W. Zanders, B.-Gladbach.
Alle rcdaktionellen Sendungcn sind an den Hcrausgebcr Wilhclm Schäfer in Vallendar a. Nh. erbcten.

Fiir unvcrlangte Manuskripte und Rezensionseremplare wird keinc Verpflichtung übernommen. Rückporto ist beizulegcn.
 
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