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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 29.1919

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Heft 9/10
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Suermondt, Edwin: Der Zauberlehrling
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du Bois-Reymond, Lili: Nach der Schlacht
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https://doi.org/10.11588/diglit.26487#0224
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Der Zauberlehrling.

Weyden mit seiner Kreuzabnahme, und es ist nicht mehr
als billig, daß dieses Glanzstück der Kunstgeschichte dieses
Glanzstück von Kategorie illustriert. Was aber soll man
dazu sagen, wenn derselbe Rogier van der Weyden
mit seinem Lukas auch ein „typisches Beispiel" für den
„Mischstil" liefern muß ü Ein Künstler von dem Range
eines Rogier — und mal so, mal so? Das sind Dinge,
die ein Kunstjünger im Seminar nicht vorbringen
dürfte. Man fühlt sich angeödet. Natürlich ist die
Kreuzabnahme ein goldechtes Original, der Lukas
nur ein Schulbild, aber dazu braucht's keine Kate-
gorien und keinen Aauberlehrling. Denn wären es
zwei Originale, so wären die Grautoffschen Gruppen
erst recht als das erwiesen, was sie sind: unklare und
unnütze Erzeugnisse, mit denen sich überhaupt nichts
anfangen läßt.

Nach diesen Stichproben dürfte sich ein weiteres
Eingehen auf die Ausführungen des Verfassers erübrigen.
Wo die Prämissen fehlen...! Seine vier Gruppen
werden natürlich, ohne Gewinn für den Leser, durch
nlle Epochen und Stile gehetzt, und so entstand eine
jener eingangs charakterisierten Schriften aus gequälter,

ach der Schlackt.

Noch zitterte das arme Land von den ausgestandenen
Schreckenn und Qualen und wagte kaum aufzuatmen nach der glor-
reiche Schlacht, die es befreit hatte. Überall waren noch die grauen-
haften Spuren der Verwüstung irur zu sichtbar, selbst in dem
schönen alten Park, durch dessen aufgewühlte Wege der königliche
Sieger eben mit seincm jungen Begleiter schritt. Cs war der
breite Mittelweg, der zuni Schloß führte, aber plöhlich hemmte
der junge Mann den Schritt und streckte unwillkürlich die Hand
aus, um den kurzsichtigen Herrscher am Weitergehen zu verhindern.

Mitten auf dem Wege lag der halb entblößte, übel verstümmelte
Körper einer jungen Bäuerin, von Kosakenlanzen zerfeht, die
fahlblonden Haare in Blut getränkt, die starren wasserblauen
Augen weit aufgerissen.-

„Ah die Canaillen, die Canaillen! Und ich habe es nicht ver-
hindern können! Armes Kind. — Kommen Sie, mein Lieber."

Sie traten ins Schloß. Hier waren schon Diener und Soldaten
eifrig an der Arbeit, um aus dem Chaos bewohnbare Räunie zu
schaffen. Der König ging rasch voran durch die lange Zimmer-
reihe — überall dassclbe Bild sinnloser Derwüstung, das solchen
krassen Gegensatz zu dicser heiteren und lachenden Rokokoherrlich-
keit bildete. Schweigend stand der König ein Weilchen vor einem
zertrümmerten Amor mit dem Pfeil und schien in tiefe Gedanken
versunken. Plöhlich mit einem Ruck sich zu seinem Begleiter um-
wendend, sagte er: „Seh er, mein Lieber, wie diese Canaillen
die Möbel der guten Wreechs zugerichtet haben; wie sie zer-
schlagen haben, was sie nicht fortschleppen konnten; und was
die Barbaren hier getan haben, haben sis bei den armen Bauern
auch getan. Die Tote draußen, stehen einem da nicht die Haare
zu Berge, heißt das Kriegführen? Die Könige, die sich solcher
Truppen bedienen, müßten sie nicht schamrot werden? Sie sind
Gott verantwortlich und an all diesen Horrcurs mitschuldig!"

Aus dem letzten Aimmcr führte eine Glastüre wieder in den
Park, und hier wäre der König, schnell hinaustretend, fast wieder
über eine am Boden liegende Frau gestolpert, aber diese lebte;
es war eine alte, sehr reinlich gekleidete Bäuerin, die hier offenbar
auf den König gewartct hatte, dessen Knie sie nun umfassen wollte.
„Steh sie auf, gute Frau, was will sie?" „Herr KLnig, ich flehe,
meinem Sohn ein kleines Stück Land zu geben, da er sein Brot
findet, damit er heiraten kann. Wenn Cure Majestät niir diese
Gnade erweisi, will ich bitten, daß der liebe Gott Sie segne."
„Meine gute Frau," sagte der König, „ich habe es nötig, daß Gott
mich segnc, aber wie soll ich ihrem Sohn ein Stück Land geben,
wo ich nicht sicher bin, mcin eigenes zu behalten?" Die Frau fing
an zu weinen. „Worüber weint sie?" fragtc der König, und ohne
eine Antwort abzuwarten, winkte er ihr fortzugehen und sagtc:
„Jhr Sohn soll seincr Frau brav Kinder machen, und wenn es

nebelhafter Denkarbeit und mangelndem Gefühl für das
Wesentliche, die die große Schar solcher Publikationen
um eine weitere, uuerfreuliche vermehrt. Die Einwände
verstärken sich namentlich zum Schluß des Buches, wo
die Kunst unserer Zeit in dem Sinne behandelt wird,
der sich aus der Tendenz des angeführten Untertitels
ergibt. Man müßte ein Buch schreiben, um alle ver-
fehlten Wertungen und falschen Behauptungen richtig-
zustellen — dazu ist hier nicht der Raum. Solche Bücher
von sympathischer Sachlichkeit und richtiger Einstellung
eristieren bereits, andere sind im Entstehen. Gemeinsam
ist ihnen, daß ihre Urheber nicht von vorgefaßten Mei-
nungen und pseudowissenschaftlichen Theorien her-
kommen und so, wie zwischen Scheuklappen eingefaßt,
um die Fragen herumirren, sondern aus dem engsten
Kontakt mit den Dingen, aus der Liebe zu ihnen und
unmittelbarem Erlebnis herauS zunächst eine Klärung
der Probleme unserer Aeit suchen, um dann nach rück-
wärts ihre Brücken zu schlagen und die großen Iusammen-
hänge herauszuarbeiten, so wie ein starkes, lebendiges
Geschlecht sich rückschauend der Tüchtigkeit seiner Vor-
väter freut. s880f Edwin Suermondt.

Frieden gibt, soll er nach Potsdam kommen." Und währcnd dic
alte Frau zwischen den hohen Alleebäumen forthumpeltc, sagte
der König, desscn Gesicht sehr alt und müde aussah, zu seinem
Begleiter: „Jhr müßt zugeben, mein Freund, es ist ein spaß-
hafter Einfall, mich in dieseni Augenblick um etwas zu bitten."
„Aber Sire," sagte der junge Mann in ehrfürchtigem Widerspruch
„diese arme Frau kennt Jhre gegcnwärtige Lage nicht, sie zählt
nur auf Jhre Güte und bildet sich ein, daß ein König zu jeder
Aeit und an jedem Ort Wohltaten spenden kann." „Teufel auch,
mein Lieber, das läßt sich nicht machen! Aber nun sind wir beide
wohl müde genug; versuchen Sie zu schlafen; morgen sollen Sie
mir erzählen, was Sie von Ihrer strategischen Unterweisung noch
behalten haben."

Und wandtesich ab und ging allein in das vcrwüstete stille
Schloß zurück.

Und ging durch lange Jahre voll Rot und Qual und Mord
und Brand und fast übermenschlichen Druck und Kampf weii"
weit zurück in die Vergangenheit; in eine Zeit, da er noch jung,
doch schon vom Schicksal in feuriger Glut geschrniedet wordcn war,
und meinta Qual genug für scines Lebens Zeit erlitten zu haben.
Dann aber war er hier in scligern Hafen eingelaufen, und war
des Lebens ganze Lieblichkeit ihm hier aufgegangen. Rosen und
Lilien blühten an den Wegen, da jetzt das junge tote und das
alte lebendige Weib gelegen hatten, und Rosen und Lilien auf
den Wangen der wunderschönen jungen Schloßhcrrin, die ihn zum
ersten Male den großen Friedrich genannt hatte! — Ach, so leicht
wurde dieser Name nicht verdient, meine schöne Kusine von
Tamsel!

Was lag dazwischen — wieviel Blut und Schweiß — und,
großer Gott, was lag noch vor ihm —? Wie war er damals glück-
selig, dem Schicksal des armen Katte entgangen zu sein, wie lag
die Welt vor ihm offen, er brauchte nur zuzugreifen, und jetzt —!
so lange schon schlief Katte ungestört und traumlos den Schlaf,
aus dem es kein Erwachen gibt — beneidenswerter Katte! Wieder
war er stehen geblieben und hatte, tief in Gedanken, ein Kästchen
in die Hand genommen, das, mit zerschlagenem Deckel, auf einem
mit Bajonettstichen zerfetzten Atlaßsessel gelegen hatte. Man
hatte wohl nach Schätzen darin gewühlt und es fortgeworfen,
da es nur beschriebenes Papier enthielt, Blätter, die nun zer-
rissen und beschmutzt über die roten Sessel ausgestreut waren.
Wie sonderbar bekannt ihm diese Handschrift schien, er hob den
Fetzen an die Augen und las:

Sag nichts von Liebe ihr und nichtS von meiner Glut,
Sag nicht, daß Du sie liebst, noch bis in Lethes Flut,
Stirb, da Du sterben mußt, verblut an Deiner Wunde!

Der einsame König lachte kurz auf und ließ einen halb spötti-
schen, halb gerührten Blick der Crinnerung über das Bildnis der

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