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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 30.1920

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Heft 4
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Das Maschinenherz: eine Predigt über einen altchinesischen Text
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Schäfer, Wilhelm: Die Edda
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https://doi.org/10.11588/diglit.26486#0217
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Das Maschinenherz.

ist: „Er kennt das Eme und will nichts wissen von einem
Aweiten. Er ordnet sein Jnneres und kümmert sich nicht
um das Äußere." Wie? Kann denn Kung Dsi ihm nicht
nachfolgen, kann er nicht seinen Schüler zu seiner Nach-
folge ermahnen? Ach nein! er fährt fort: „Vor einem
solchen Menschen, der die Reinheit erkennt, ins Un-
geteilte eindringt, nicht handelt, zurückkehrt zur Einfalt,
seine Natur festigt, seinen Geist in der Hand hat und
dennoch verborgen in Nichtigkeit wandelt, hattest du
Grund zu erschrecken. Die Grundsätze der Urzeit zu ver-
stehen, bin ich ebensowenig fähig, wie du."

Wird unsere Ieit das auch sagen? Es ist doch un-
angenehm, zu erschrecken!

Nun, man kann die Kühe heute mit Elektrizität melken.
Der gehobene Proletarier treibt rationelle Körperkultur.
Das angelsächsische Weib im freien Amerika hat entdeckt,
daß die Frau erst nach der fünfundzwanzigsten Scheidung
ihre intensive Weiblichkeit entwickelt, wobei das Kinder-
kriegen, dieser leidige Tribut an überkommene Vorurteile,
natürlich stören würde; die Frauen der Nigger und pol-
nischen Juden widmen sich dieser Tätigkeit mit Hingabe,
vorläufig noch ohne Entgelt. Wo soll da ein Mann her-
kommen, der die Leute veranlaßte, in unangenehmer
Weise zu erschrecken! Nein; unsere Ieit kann ruhig sein;
kein Philosoph wird je einen Alten sein Gemüse mit der
Kanne bewässern sehen, wenn er es mit einem Aieh-
brunnen bewässern kann.

Aber unsere Aeit ist zu Ende; Gott sei Dank! sie ist zu
Ende. Es zieht eine neue Aeit herauf, die wird anders sein.

ie Edda.

Als Karl, der fränkische König, Kaiser in Rom
und Iwingherr aller deutschen Stämme geworden war,
als sich in seiner Gewalt das Germanentum nach den
Stürmen der Völkerwanderung sammelte, soweit es
nicht in Jtalien, Spanien, Kleinasien und Afrika ver-
schollen war, wollte auch die Jdee dieser Sammlung
Gestalt werden: Aus dem Frankenreich war der gewaltige
Herrscher gekommen, aber in Aachen und Jngelheim
standen die Stätten seiner Regierung; er sprach und
kleidete sich deutsch, und als er im Alter lesen und schreiben
lernte, als er die Jdee einer deutschen Bildung zu pflegen
begann, besann sich das Deutschtum auf seine Herkunft.
Er hatte die Sachsen und ihre Nachbarn mit blutiger
Gewalt zu Christen gemacht, aber er vermochte zu
unterscheiden, was an ihren Sitten und Sagen dem
Christentum hinderlich war und was aus völkischer
Herkunft ihren Charakter darstellte. Auch war er als
Deutscher stolz genug, gegenüber den lateinischen Ge-
sängen der Priester die starke Lebensgewalt der heid-
nischen Lieder zu fühlen. Sie waren von Mund zu
Mund gegangen, und solange eine ungebrochene Tradition
sie behütet hatte, war kein Verlust zu befürchten gewesen;
nun aber wurde dem Germanentum durch die christliche
Predigt der Nacken gebrochen: sollten die Lieder als
Aeugen der Vorzeit überliefert bleiben, mußten sie — wie
das Evangelium und die Gesänge der Priester, wie die
Historie der Griechen und Römer — aufgeschrieben
werden; und dazu gab Karl der Große, der König aller
Germanen, den Befehl.

Aber der deutsche Mann und Fürst hatte die Rech-
nung ohne seinen kläglichen Sohn und ohne die fanatische
Herrschsucht der lateinischen Priester gemacht. Mit
unendlicher Mühe hatte er das Reiterbild des großen
Theodorich nach Aachen bringen lassen, wo es im An-
gesicht seines Palastes stand. Er liebte den gewaltigsten
Heerkönig der Germanen, und nicht nur die Kapelle in
Aachen war dem gotischen Vorbild nachgebaut; aber
die lateinischen Priester hatten an dem Andenken des
arianischen Herrschers immer noch die Rache der römischen
Rechtgläubigkeit zu kühlen: als „eine Pest von endlosem
Schaden" dichtete der schielende Abt von Reichenau das
erzene Standbild Dietrichs an, und der lateinische
Fanatismus rubte nicht, bis das unschätzbare Standbild
eingeschmolzen war Und wie dem Standbild, so ging
es den Liedern: ehrfürchtig der Herkunft hatte der
Vater die Dichtung seines Volkes gesammelt, demütig
dem römischen Priesterwort ließ der Sohn den Schatz
verbrennen. Seine vor der ewigen Verdammnis zitternde
Seele sah mit Grauen die Schatten der Götterbilder in
den Liedern und keine Ehrfurcht vor der eigenen Sprache
hielt ihn, den lateinischen Iögling, ab, dem deutschen
Volk die Schmach und den Schaden dieser Verbrennung
anzutun. Und weil nach ihm bis zu den sächsischen
Herrschern keine Könige von volkstümlicher Geltung
mehr in Germanien waren, weil die letzien Karolinger
die blutige Aänkerei der Merowinger wiederholten, und
weil die sächsischen Fürsten, so groß ihrc staatsmännische
Kraft war, bald unter den Einfluß ihrer fremden Frauen
gerieten, so daß die erste bewußte Kulturarbeit des
deutschen Mittelalters doch wieder lateinisch wurde, so
blieben die deutschen Lieder verschwunden, bis endlich
im ritterlichen Epos der guten Aeit einige Reste auf-
erstanden, freilich immer noch gewaltig genug, um in
den Nibelungen nach Homer das einzige Epos der Welt-
literatur aufzustellen.

Es war das zweite Schicksal der germanischen Früh-
zeit; das erste war, daß alle Königsvölker der Früh-
zeit, die Ost- und Westgoten, die Vandalen und Longo-
barden, das Christentum in der arianischen Form an-
nahmen, daß sie dadurch die Todfeinde der römischen
Priesterherrschaft wurden und an dieser Todfeindschaft
nacheinander zugrunde gingen. Jn dieser gewaltigen,
jahrhundertelangen Auseinandersetzung siegte nicht sowohl
das Christentum über das Heidentum — denn Dietrich
von Bern wie die westgotischen Könige von Toulouse,
Geiserich in Karthago wie die Longobardenkönige der
Lombardei waren Christen wie ihr römischer Gegner —
sondern der römische Kaisergedanke über das Volks-
königtum der Germanen. Mit Karl dem Großen, dem
katholischen Franken, kam diesem Kaisergedanken das
deutsche Schwert zur Hand, aber das Haupt blieb der
römische Papst; und so herrlich uns Nachgeborenen die
Macht der deutschen Kaiser bis zu den Hohenstaufen
anmuten mag, in ihrem wirklichen Sinn bedeutete die
Macht den Sieg der lateinischen Bildung über die frühen
Versuche einer germanischen Kultur. Da uns die Chronik
dieses Sieges von den Lateinern überliefert wurde, ist
uns der große Theodorich eine Sagenfigur geworden
und von dem Glanz des weströmischen Reiches in
Spanien und Südfrankrcich ist fast nichts im Bewußtsein

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