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Riegl, Alois
Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn (1): Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn — Wien: Österreich. Staatsdruckerei, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.75259#0038
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28

ARCHITEKTUR.

Mitteln zu beseitigende Durchbrechung des geschlossenen Raumeindruckes zur Folge gehabt. Wer
den Tempel der Minerva Medica betrat, genoss nicht mehr jenes Zaubers absoluter beruhigender
Einheit, der noch heute vom Innenraum des Pantheon ausströmt, trotzdem auch dort die Ab-
messungen nach allen drei Dimensionen untereinander noch ziemlich gleich waren; die somit
erfolgte Veränderung lag nicht so sehr an der vermehrten Zahl der Nischen, die nun in ununter-
brochener Reihe auf einander folgten, sondern hauptsächlich an den Fensteröffnungen, die einer-
seits eine coloristische Belebung der Wandflächen bewirkten, aber zugleicli auch den Blick aus
der stofflichen Hülle hinaus in den unendlichen Raum lockten.
Gerade an diesem Beispiele zeigt sich zwingend, dass die antike Tendenz auf absolute
Geschlossenheit des Individuums nun auf die Dauer nicht mehr aufrecht zu erhalten war, und dass
ihre Sprengung vom inneren Raumbedürfnisse ausgegangen ist. Mit den Fenstern, die den Blick
aus der geschlossenen Enge hinaus ins Freie eröffnen, kündigt sich zum erstenmale eine neue
Zukunftskunst an, welche die Einzelform nicht in ihrer isolierten Existenz und auch nicht in einer
Massencomposition mit mehreren gleichartigen Formen, sondern im Zusammenhang mit dem
unendlichen und unmessbaren Raume darstellen will.
Die gegen Mitte des vierten Jahrhunderts erbaute Grabkirche Sta. Costanza zu Rom zeigt
das System der Minerva Medica insoferne fortentwickelt, als der Kranz von Nischen in einen
ununterbrochenen Umgang zusammengeschmolzen erscheint, der vom Mittelraum durch einen
Kreis von Doppelsäulen getrennt ist. Es sind also zwei concentrische Rotunden vorhanden,
deren äußere von der inneren überragt und dominiert wird. Die stilistisch wichtige Neuerung
besteht hiebei in der Unterdrückung aller Gliederung (Nischen) zugunsten eines einfach-massigen
Umrisses. Die eigentliche Fortbildung des römischen Centralbaues für christliche Cultzwecke
ist aber nicht in der Stadt Rom, sondern auf oströmischem Boden vor sich gegangen. Um diese
richtig zu verstehen, muss man die inzwischen erfolgte Ausbildung des christlichen Langbaues
kennen.
Die von der antiken Kunst begehrte klare und geschlossene Einheit des stofflichen Indi-
viduums fand, soweit die Architektur in Betracht kommt, offenbar ihre höchste Befriedigung im
Centralbau; aber das eigentlich treibende Element ist doch der L angbau gewesen, und dies aus
leicht ersichtlichen Gründen. Der Langbau ist für die Bewegung von Menschen in seinem Innern
geschaffen; Bewegung bedingt aber Verlassen der Ebene, Berücksichtigung des Tiefraumes,
Hinaustreten der Individualität aus sich selbst in Verkehr mit dem Raume. Die antike Kunst
war fortwährend bemüht, diesen latenten Gegensatz zu überbrücken oder doch zu verschleiern;
aber gerade in diesen Bemühungen lag ein Problem und damit ein zwingender Anlass zu unab-
lässiger Entwicklung. So sehen wir auch in der classischen Kunst die Auflösung der taktischen
Außenwand in Portiken nicht an einem Centralbau, sondern an einem Langbau (dem Tempel)
sich vollziehen.
Das Problem der Kaiserzeit lag nun darin, die Raumbildung innerhalb des Langbaues in
der gleichen Weise durchzuführen, wie es im Centralbau (Pantheon) geschehen war: das heißt
durch Individualisierung des Raumes im Wege der Formung gleichmäßig begrenzter cubischer
Raummassen. Wann man dieses Problem in bewusster Weise aufgegriffen hat, ist heute nicht
auszumachen. Im ersten Jahrhunderte der römischen Kaiserzeit lehrt schon das pompejanische
Haus, wie man sich wenigstens im profanen Wohnbaue noch immer grundsätzlich gegen jedwede
Innenraum-Bildung gesträubt hat; es gibt dort streng genommen noch keinen absolut geschlos-
 
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