KUNSTINDUSTRIE.
203
Fig. 92- Detail vom Reif der Votivkrone
des Swintila. Armeria real in Madrid.
Granaten-Einlage innerhalb der spätrömischen Kunstperiode bilden. Nun sind allerdings gerade
diese Kronen seit jeher für schlagende Beweisstücke zu Gunsten des gothischen Ursprunges der
ganzen Kunstgattung angesehen worden. Wir wollen hier nicht die Frage aufwerfen, wie die
Gothen auf ihren jahrhundertlangen Söldnermärschen und später als militärische Herren einer
zahlreichen Unterthanenbevölkerung Zeit und Lust zum Gold-
schmiedegewerbe gefunden haben mochten, und auch nicht die
ergänzende Frage daran schließen, wohin denn die kunst-
gewerblichen Ateliers der romanischen Unterthanen gerathen
sein mochten. Schon allein die äußere Beschaffenheit der Denk-
mäler liefert uns die Mittel an die Hand, um ihre Abhängigkeit
von der mittelländisch-spätrömischen Kunst nachzuweisen, ob
nun bei ihrer Herstellung Gothen thätig gewesen sein mochten
oder nicht.
Vor allem finden sich an der Krone des Swintila (in
Madrid) noch immer beide Arten der Granaten-Einlage neben-
einander im Gebrauche: einerseits in Zellen mittels aufgelötheter Stege, an den angehängten
Buchstaben der Votivinschrift, anderseits in Gruben, am Reif (Fig. 92). Dieser weist in der
Mitte einen breiten Streifen mit Granaten-Einlage, an den Rändern begleitet von je einer Reihe
aufgesetzter mugliger Steine in Kasten-Fassungen. Die mugligen Randsteine waren uns schon
an der Schnalle von Apahida (Fig. 80) aufgefallen; aber dort waren sie noch ohne Fassungen
verblieben, deren Auftreten an Fig. 92 somit eine Neuerung bedeutet. Dagegen ist im Mittelstreifen
mit Ausnahme der centralen gemugelten Steine absolut nichts zu entdecken, was über den durch
die Schnalle von Apahida repräsentierten Entwicklungsstand hinausreichte. Auf den ersten Blick
geben sich die Granatplättchen als das Muster auf Goldgrund: wir bemerken einen inneren Kranz
von überhöhten Calottenmotiven und einen äußeren von sphärischen Dreieckmotiven (flachen
Schuppen); sieht man aber näher zu, so gewahrt man, dass das nur complementäre Motive sind,
und das ursprüngliche lineare Muster im Goldgrunde ruht: einmal ein Kreis um den centralen
Stein herum, dann ein Kranz von Halbkreisbogen, endlich wieder ein einfassender Kreis rings-
herum, an den dann der beiderseits benachbarte Kreis anschließt und mit dem ersteren gegen die
Ränder hin dreieckige Zwickel bildet. 1 Denkt man sich den Mittelstreifen an den Stellen, wo die
Granaten sitzen, einfach durchbrochen, so erhält man ein Gitter, wie deren viele in der späteren
römischen Kaiserzeit in Marmor hergestellt worden sind. Die coloristische Absicht aber, die diese
Verwischung des Verhältnisses zwischen Grund und Muster herbeiführte, haben wir an der Hand
der Durchbrucharbeiten von einer Zeit her verfolgen können, da von einem Einflüsse der „Barbaren"
auf das Reich noch gar nicht die Rede sein konnte. Der Stil der Granat-Einlage im Reife ist also
ein spätrömischer und kein barbarischer. In den mugligen Steinen aber, sowohl im Centrum als an
den Rändern, gelangt die Massencomposition zum Ausdrucke, die wir ebenfalls bereits als spät-
römisches (und ganz besonders nichtantikes und zukunftreiches) Element der Kunst kennen gelernt
haben, und die durch die Aufnahme von Fassungen (worüber weiter unten noch ein besonderes)
seit der Entstehungszeit der Schnalle von Apahida (fünftes Jahrhundert) allerdings eine wesent-
liche Verstärkung erfahren hat.
1 Ein ganz ähnliches Verhältnis zwischen den Musterzellen und dem stehengebliebenen Goldgrunde dazwischen ergibt eine aufmerk-
same Betrachtung der Scheibe von der Vogelfibel von Petrossa (Fig. 83, S. 173).
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Fig. 92- Detail vom Reif der Votivkrone
des Swintila. Armeria real in Madrid.
Granaten-Einlage innerhalb der spätrömischen Kunstperiode bilden. Nun sind allerdings gerade
diese Kronen seit jeher für schlagende Beweisstücke zu Gunsten des gothischen Ursprunges der
ganzen Kunstgattung angesehen worden. Wir wollen hier nicht die Frage aufwerfen, wie die
Gothen auf ihren jahrhundertlangen Söldnermärschen und später als militärische Herren einer
zahlreichen Unterthanenbevölkerung Zeit und Lust zum Gold-
schmiedegewerbe gefunden haben mochten, und auch nicht die
ergänzende Frage daran schließen, wohin denn die kunst-
gewerblichen Ateliers der romanischen Unterthanen gerathen
sein mochten. Schon allein die äußere Beschaffenheit der Denk-
mäler liefert uns die Mittel an die Hand, um ihre Abhängigkeit
von der mittelländisch-spätrömischen Kunst nachzuweisen, ob
nun bei ihrer Herstellung Gothen thätig gewesen sein mochten
oder nicht.
Vor allem finden sich an der Krone des Swintila (in
Madrid) noch immer beide Arten der Granaten-Einlage neben-
einander im Gebrauche: einerseits in Zellen mittels aufgelötheter Stege, an den angehängten
Buchstaben der Votivinschrift, anderseits in Gruben, am Reif (Fig. 92). Dieser weist in der
Mitte einen breiten Streifen mit Granaten-Einlage, an den Rändern begleitet von je einer Reihe
aufgesetzter mugliger Steine in Kasten-Fassungen. Die mugligen Randsteine waren uns schon
an der Schnalle von Apahida (Fig. 80) aufgefallen; aber dort waren sie noch ohne Fassungen
verblieben, deren Auftreten an Fig. 92 somit eine Neuerung bedeutet. Dagegen ist im Mittelstreifen
mit Ausnahme der centralen gemugelten Steine absolut nichts zu entdecken, was über den durch
die Schnalle von Apahida repräsentierten Entwicklungsstand hinausreichte. Auf den ersten Blick
geben sich die Granatplättchen als das Muster auf Goldgrund: wir bemerken einen inneren Kranz
von überhöhten Calottenmotiven und einen äußeren von sphärischen Dreieckmotiven (flachen
Schuppen); sieht man aber näher zu, so gewahrt man, dass das nur complementäre Motive sind,
und das ursprüngliche lineare Muster im Goldgrunde ruht: einmal ein Kreis um den centralen
Stein herum, dann ein Kranz von Halbkreisbogen, endlich wieder ein einfassender Kreis rings-
herum, an den dann der beiderseits benachbarte Kreis anschließt und mit dem ersteren gegen die
Ränder hin dreieckige Zwickel bildet. 1 Denkt man sich den Mittelstreifen an den Stellen, wo die
Granaten sitzen, einfach durchbrochen, so erhält man ein Gitter, wie deren viele in der späteren
römischen Kaiserzeit in Marmor hergestellt worden sind. Die coloristische Absicht aber, die diese
Verwischung des Verhältnisses zwischen Grund und Muster herbeiführte, haben wir an der Hand
der Durchbrucharbeiten von einer Zeit her verfolgen können, da von einem Einflüsse der „Barbaren"
auf das Reich noch gar nicht die Rede sein konnte. Der Stil der Granat-Einlage im Reife ist also
ein spätrömischer und kein barbarischer. In den mugligen Steinen aber, sowohl im Centrum als an
den Rändern, gelangt die Massencomposition zum Ausdrucke, die wir ebenfalls bereits als spät-
römisches (und ganz besonders nichtantikes und zukunftreiches) Element der Kunst kennen gelernt
haben, und die durch die Aufnahme von Fassungen (worüber weiter unten noch ein besonderes)
seit der Entstehungszeit der Schnalle von Apahida (fünftes Jahrhundert) allerdings eine wesent-
liche Verstärkung erfahren hat.
1 Ein ganz ähnliches Verhältnis zwischen den Musterzellen und dem stehengebliebenen Goldgrunde dazwischen ergibt eine aufmerk-
same Betrachtung der Scheibe von der Vogelfibel von Petrossa (Fig. 83, S. 173).
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