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Rinne, Christoph
Odagsen und Großenrode, Ldkr. Northeim: jungsteinzeitliche Kollektivgräber im südlichen Leinetal — Rahden/​Westf.: Leidorf, 2003

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.67240#0059
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Christoph Rinne - Odagsen und Großenrode

gute Verheilung der Schussverletzung. Auffällig ist der
Abstand des Knochens von gut 2 mm zu den Breitseiten
des Geschosses. Ein vergleichbarer Befund einer deut-
lich höheren Einschussöffnung wurde auch an einem
Oberarm aus der Mauerkammer von Niederbösa festge-
stellt (Feustel/Ullrich 1964/65, 195; Taf. 30). Es kann
vermutet werden, dass dies die Spuren ehemals vorhan-
dener organischer Schaftbestandteile sind. Zu betonen ist
die gute Erhaltung der rechten Spitze des Querschnei-
ders, die den Knochen vollständig durchschlagen hat und
dennoch, auch unter dem Binokular, keine Gebrauchs-
spuren zeigt.
Innerhalb der mitteldeutschen Kollektivgräber ist, neben
dem Fund von Nordhausen, eine menschliche Rippe mit
eingewachsener Pfeilspitze aus dem Kollektivgrab von
Siebleben, Kr. Gotha, anzuführen (Bach et al 1987, 57;
Taf. III.2). Auch diese Schussverletzung wurde, wie die
Verletzung aus Nordhausen, von der verwundeten Per-
son überlebt. Die tödliche Wirkung dieser Waffe und ihr
Einsatz gegen Menschen wird darüber hinaus an einigen
weiteren neolithischen Bestattungen deutlich
(Schutkowski et al 1996, 179 ff. Pryor 1976, 232 f.).
Die Nachweise von Schussverletzungen an Knochen von
Beutetieren ist im Jungneolithikum sehr gering. Zahlrei-
che Funde, die palynologisch vom Präboreal bis in das
Subboreal datiert werden können, stammen aus Däne-
mark, überwiegend von der Insel Fünen (Noe-Nygaard
1974, Abb. 2). Damit wird der gesamte Zeitraum des
norddeutschen Neolithikums erfasst. Die in Dänemark
festgestellten Verletzungen bestehen überwiegend aus
verheilten und unverheilten Einschusslöchern im linken
Schulterblatt von Wildschwein und Hirsch. Daneben
sind aber auch in Rippen eingewachsene Querschneider
zahlreich belegt (Noe-Nygaard 1974, Taf. 1-4; 6). Die
nachweisbaren Verletzungen konzentrieren sich im lin-
ken Schulter- und Rippenbereich und weisen damit das
Herz, die benachbarten großen Arterien und die Lunge
als bevorzugtes Ziel für die Geschosse aus (Noe-
Nygaard 1974, 239 f. Abb. 22b; 23). Dies deckt sich
mit Hinweisen auf das Jagdverhalten nordamerikanischer
Indianer, die auf den Bereich hinter dem Schulterblatt
beim gestreckten Lauf zielten. Alternativ nennt Morgen
den Einschuss von hinten links oder rechts - unter Um-
gehung der Rippen - in die Lunge, der bei einem Durch-
schuss Großwild in ungefähr 10 Sekunden tötet (nach
Friis-Hansen 1990,494 f.). Die Breite des Querschnei-
ders ist dabei entscheidend für die Größe der Wunde und
deren tödliche Wirkung. Aufgrund dieser Funktion, die
auf großen Blutverlust abzielt, ist mit Pfeilgiften bei
Querschneidern nicht zu rechnen (Friis-Hansen 1990,
496).
2.4.2 Weitere Flintartefakte
Bei den modifizierten Grundformen handelt es sich in 29
Fällen um Klingen, in 27 Fällen um Abschläge. Unmodi-
fiziert liegen darüber hinaus noch 33 Klingen und 116
Abschläge vor. Das Vorkommen von insgesamt neun
Kernen oder Kemfragmenten (FNr. 501, 1500, 1792,
2570, 6232, 6256, 7486, 7516, 8217) weist daraufhin,

dass eventuell auch in dem Kollektivgrab von Odagsen
das Schlagen von Klingen Bestandteil der Bestattungsze-
remonie war (vgl. Meyer 1988, 75 f.).
2.4.2.1 Schneidende Werkzeuge
Die 18 modifizierten Klingen oder Klingenfragmente
weisen zumindest eine Kantenretusche, in drei Fällen
zudem eine Endretusche auf (FNr. 20, 148, 378, 556,
1331, 1501,2395, 2526, 6109, 7219, 7341,7559,7623,
7738, 8230; 6052, 7348, 8010). Von diesen zeigen drei
Exemplare auf der distalen Hälfte der Längsseite eine
retuschierte Kerbe (FNr. 7341,7559,7738; Taf. 42). Bei
diesen Hohlkerben ist es schwer, intendierte und natürli-
che Modifikationen zu unterscheiden (Hahn 1991, 204
f. Abb. 75,3.7.10). Für die drei Exemplare aus Odagsen
ist eine natürliche Entstehung durch die zahlreichen
kleinen, parallel verlaufenden Abschlagbahnen wohl
auszuschließen, auch wenn die Klinge FNr. 7559 exakt
an dieser Stelle eine jüngere Beschädigung zeigt. Sieben
retuschierte und eine unretuschierte Klinge weisen Si-
chelglanz auf und zeigen an, dass mit ihnen kieselsäure-
haltige Pflanzen geschnitten wurden (FNr. 148, 378,
556, 2395, 6109, 7623, 8230; 6125). Für die übrigen 32
unmodifizierten Klingen und Klingenfragmente sind
makroskopisch keine Gebrauchsspuren zu erkennen,
weshalb eine Ansprache als Werkzeug bzw. Abnut-
zungsgerät fraglich erscheinen mag (Uerpmann 1981,
64). Das Erkennen mikroskopischer Gebrauchsspuren ist
jedoch auch vom Erhaltungszustand abhängig, deshalb
sollen an dieser Stelle die Klingen in ihrer Gesamtheit
behandelt werden. Der Nachweis einer Klingenproduk-
tion für die Bestattung, wie es in Pevestorf durch frisch
geschlagene und noch anpassende Klingen möglich ist,
dürfte für ein Kollektivgrab nur schwer zu erbringen sein
(vgl. Meyer 1988, 75 f.). Für beide Interpretationen -
Werkzeug oder Halbfabrikat - steht letztlich jedoch die
Bedeutung als Grabbeigabe außer Zweifel; im Grabkon-
text scheint dies die eigentliche, primäre Funktion.
Klingen sind innerhalb des Jungneolithikums eine re-
gelmäßig auftretende Grabbeigabe (Fischer 1956,230).
Die Beziehung zu einzelnen Bestattungen lässt sich bei
Einzelgräbern feststellen und belegt hier deutlich die
Bedeutung dieser Beigabe. Auf dem Gräberfeld von
Pevestorf, Ldkr. Lüchow-Dannenberg, führen 24 von 26
neolithischen Gräbern Klingen, wobei das Grab K1 mit
77 Exemplaren besonders reich ausgestattet ist (Meyer
1988, 75 f.; 1993, 185). Auf dem Gräberfeld von Ostorf,
Kr. Schwerin, sind gut die Hälfte der Gräber mit Klingen
ausgestattet, auch hier treten mit bis zu 66 Stück sehr
reiche Inventare auf (Schuldt 1961, 139 ff.; 176 Faltta-
fel). Auf dem Gräberfeld von Dreetz, Kr. Kyritz, geht
demgegenüber die Anzahl der Funde deutlich zurück.
Nur noch ein Drittel der Gräber führt Klingen, von de-
nen maximal zehn in einem Befund vorkommen
(Kirsch/Plate 1983, 7 ff.).
Auch in den mitteldeutschen Kollektivgräbern sowie in
den hessischen und westfälischen Galeriegräbern treten
regelmäßig Klingen und Klingenfragmente auf. Setzt
man bei diesen Gräbern jedoch die Fund- und Individu-
 
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