Während der knapp zwei Jahre, in denen Mengs die Geschi-
cke der Akademie leitete, bemühte er sich trotz der unvermeid-
baren Differenzen um ein gutes Einvernehmen mit den Akade-
mikern, die am Leben der Akademie aktiven Anteil nahmen,
und um eine geordnete Abwicklung der internen Angelegenhei-
ten, was weder selbstverständlich noch konfliktfrei war. Neben
den monatlichen Versammlungen, von denen keine einzige aus-
fiel oder vertagt wurde, berief er eine außerordentliche Sitzung
ein, in der es um die Probleme in der Scuola del Nudo ging
(s. S. 304). Bis auf eine Sitzung, für die er sich wegen der bevor-
stehenden Reise nach Neapel durch Orlandi vertreten ließ (s.
biogr. Dok. 16.9.1772), leitete Mengs alle diese Zusammen-
künfte persönlich. Dafür statteten ihm die Mitglieder am Ende
seiner Amtszeit einen Dank ab, der über die üblichen Äußerun-
gen bei solchen Gelegenheiten weit hinausging. Es wurde zu
Protokoll gegeben, Mengs habe in seiner Amtsführung soviel
Hingabe und Eifer für die Akademie und für die einzelnen Mit-
glieder derselben gezeigt, daß die Akademie dessen immer
dankbar gedenken werde (s. a. biogr. Dok. 6.9.1772).275 Die vier
Mitglieder, die in dieser Sitzung anwesend waren (Orlandi, Pre-
ziado, Bergondi und Navona), gehörten mit Sicherheit zu Mengs’
überzeugten Anhängern, denn niemand hätte sie gezwungen,
eine solche Erklärung abzugeben, wenn dies nicht einem echten
Bedürfnis entsprochen hätte. Andererseits fehlten in dieser Sit-
zung alle diejenigen, die vielleicht anderer Ansicht waren. Der
Anlaß für diese ungewöhnliche Stellungnahme war der Brief,
den Mengs am 6. September 1772 an Preziado geschrieben
hatte, um sich für sein Fernbleiben von der anstehenden Sitzung
zu entschuldigen (s. biogr. Dok.). Hier legt er mit Nachdruck die
Motivation dar, die ihn bei der Ausübung seines Amtes geleitet
hatte. Wenn er erklärt, daß es sein Anliegen gewesen sei »dem
Ansehen unserer vornehmen Künste nützlich zu sein, das mir so
wichtig ist, daß ich während meiner Amtsführung eine Minde-
rung ihres Ansehens nicht ertragen oder hingenommen hätte.
Eher hätte ich mich dazu entschlossen, mich von allem zurück-
zuziehen als irgendeinem Angriff auf ihre Ehre, auf die der Aka-
demie und auf Rom tatenlos zusehen zu müssen.«276 Trotz des
vielleicht etwas zu pathetischen Tonfalls ist hierin ein ernst ge-
meintes persönliches Bekenntnis zu sehen. Liest man jedoch
zwischen den Zeilen, so fallen die niedrige Toleranzschwelle und
ein hoher Ehrgeiz auf. Dies war einerseits wohl die Folge der
langjährigen Querelen in der Academia de San Fernando, ande-
rerseits zeigt sich hierin auch ein Charakterzug, der den Freun-
den von Mengs gut bekannt war (s. S. 397). Gemeint ist seine
grundsätzliche Tendenz zur Überschätzung der Fakten, die auch
geringfügige Vorkommnisse zur Staatsaffäre werden ließ und
die Winckelmann mit dem Kommentar bedacht hatte, daß
Mengs aus einer Mücke einen Elefanten mache. Im konkreten
Fall hieß das, daß er die Ereignisse in der Akademie zu wichtig
nahm und seine Rolle innerhalb dieser Institution überschätzte.
Es läßt sich gleichwohl nicht leugnen, daß er in seiner Amtszeit
einen Gemeinschafts- und Verantwortungssinn entwickelte, der
den gleichen Grundsätzen folgte, die er bereits 1756 in seinem
Brief an Guibal ausgesprochen hatte (s. biogr. Dok. 22.4.1756).
In seinem an Preziado gerichteten Schreiben (s. biogr. Dok. 6.9.
1772) bittet er darum, die während seiner Amtszeit eingeführten
neuen Bestimmungen (Decreti) zur Abstimmung zu bringen. An
dem Ergebnis wollte er dann messen, ob er gut oder schlecht ge-
tan habe, sie vorzuschlagen. Auch diese Formulierung zeugt von
einem beträchtlichen Bedürfnis nach Anerkennung. Über die be-
sagten Decreti wurde in den Sitzungen des 6.9. und des 11.10.
1772 beraten und abgestimmt. Mit dem Ergebnis konnte Mengs,
der bei dieser Abstimmung zugegen war, zufrieden sein. Es
wurde beschlossen »daß sie so gelten sollten wie sie in den vor-
ausgegangenen Sitzungen mit der einstimmigen Zustimmung
der anwesenden Akademiker registriert worden waren.«277 Um
welche Regelungen es sich dabei im Einzelnen handelte, läßt
sich nur aus den Protokollen entnehmen, da die geplante neue
Publikation der Statuten nicht zustandekam.278 Daß sich Mengs
durch die Art seiner Amtsführung Anerkennung erwarb, belegt
schließlich die positive Reaktion der Akademiker auf den Vor-
schlag des Baron Edelsheim und des Rat Reiffenstein, die dafür
plädiert hatten, ihn durch eine Bronzebüste zu ehren, die in ei-
nem Saal der Akademie aufgestellt werden sollte (s. biogr. Dok.
31.7.1773). Die Ausführung dieses Plans unterblieb jedoch, da
sich Mengs entschieden gegen eine solche Ehrung wehrte (s.
biogr. Dok. 7.8.1773).
5. »Anietzt will ich die Akademie als eine Schule
ansehen«: die Ausbildung der Künstler
und die Aktzeichnung
Das Prinzipat von Mengs stand unter dem Zeichen des akademi-
schen Studiums, dessen wichtigster Bestandteil die Aktzeich-
nung war. Die Accademia del Nudo vj'&x die einzige Einrichtung
der römischen Akademie, die sich der künstlerischen Ausbil-
dung widmete.279 Ansonsten wurde die Lukasakademie ihrer
Ausbildungsfunktion nur durch die in festem Turnus stattfin-
denden öffentlichen Concorsi gerecht; im übrigen aber war sie
eigentlich mehr ein Berufs- und Interessenverband mit vorran-
gig repräsentativen und auf die Einhaltung der Statuten konzen-
trierten administrativen Aufgaben.280 Die an anderen europäi-
schen Akademien üblichen Stipendien oder Unterrichtsklassen
hatte es hier trotz gelegentlicher Initiativen zu einer systema-
tischen Ausbildung281 niemals gegeben, was eine Folge des
Standortes Rom war. Da alle Künstler nach Rom pilgerten, hatte
man es versäumt oder nicht für nötig gehalten, sich um die Or-
ganisation und Regelung der Ausbildung zu bemühen. Dazu
kam, daß die Räumlichkeiten der Akademie sehr beengt waren
und unzureichend für didaktische Aktivitäten gewesen wären.282
Mengs, der einen präziseren und anspruchsvolleren Begriff von
den Aufgaben einer Kunstakademie hatte,283 wie aus der Ge-
schichte seiner Beziehungen zur Academia de San Fernando
hervorgeht, fand sich ebenso wenig wie einige seiner Vorgänger
im Amte des Principe - vor allem sind hier Federico Zuccari284,
Pietro da Cortona, Andrea Sacchi, Carlo Maratti und Sebastiano
Conca zu nennen - mit diesem Tatbestand ab. Eines der neuen
Decreti, die unter seiner Amtsführung beschlossen wurden, be-
traf das Verhältnis zwischen den zur Ausbildung berechtigten
Akademikern und ihren Lehrlingen. Vorgetragen hatte es der
mit Mengs näher bekannte Perspektivmaler Baldassare Or-
sini.285 Er beantragte am 7.7.1771 die Ausstellung eines Attests,
in dem die Akademie bestätigte, daß es in Rom nicht üblich sei,
Das Italienische Intermezzo (1770-1774) und seine Schauplätze 303
cke der Akademie leitete, bemühte er sich trotz der unvermeid-
baren Differenzen um ein gutes Einvernehmen mit den Akade-
mikern, die am Leben der Akademie aktiven Anteil nahmen,
und um eine geordnete Abwicklung der internen Angelegenhei-
ten, was weder selbstverständlich noch konfliktfrei war. Neben
den monatlichen Versammlungen, von denen keine einzige aus-
fiel oder vertagt wurde, berief er eine außerordentliche Sitzung
ein, in der es um die Probleme in der Scuola del Nudo ging
(s. S. 304). Bis auf eine Sitzung, für die er sich wegen der bevor-
stehenden Reise nach Neapel durch Orlandi vertreten ließ (s.
biogr. Dok. 16.9.1772), leitete Mengs alle diese Zusammen-
künfte persönlich. Dafür statteten ihm die Mitglieder am Ende
seiner Amtszeit einen Dank ab, der über die üblichen Äußerun-
gen bei solchen Gelegenheiten weit hinausging. Es wurde zu
Protokoll gegeben, Mengs habe in seiner Amtsführung soviel
Hingabe und Eifer für die Akademie und für die einzelnen Mit-
glieder derselben gezeigt, daß die Akademie dessen immer
dankbar gedenken werde (s. a. biogr. Dok. 6.9.1772).275 Die vier
Mitglieder, die in dieser Sitzung anwesend waren (Orlandi, Pre-
ziado, Bergondi und Navona), gehörten mit Sicherheit zu Mengs’
überzeugten Anhängern, denn niemand hätte sie gezwungen,
eine solche Erklärung abzugeben, wenn dies nicht einem echten
Bedürfnis entsprochen hätte. Andererseits fehlten in dieser Sit-
zung alle diejenigen, die vielleicht anderer Ansicht waren. Der
Anlaß für diese ungewöhnliche Stellungnahme war der Brief,
den Mengs am 6. September 1772 an Preziado geschrieben
hatte, um sich für sein Fernbleiben von der anstehenden Sitzung
zu entschuldigen (s. biogr. Dok.). Hier legt er mit Nachdruck die
Motivation dar, die ihn bei der Ausübung seines Amtes geleitet
hatte. Wenn er erklärt, daß es sein Anliegen gewesen sei »dem
Ansehen unserer vornehmen Künste nützlich zu sein, das mir so
wichtig ist, daß ich während meiner Amtsführung eine Minde-
rung ihres Ansehens nicht ertragen oder hingenommen hätte.
Eher hätte ich mich dazu entschlossen, mich von allem zurück-
zuziehen als irgendeinem Angriff auf ihre Ehre, auf die der Aka-
demie und auf Rom tatenlos zusehen zu müssen.«276 Trotz des
vielleicht etwas zu pathetischen Tonfalls ist hierin ein ernst ge-
meintes persönliches Bekenntnis zu sehen. Liest man jedoch
zwischen den Zeilen, so fallen die niedrige Toleranzschwelle und
ein hoher Ehrgeiz auf. Dies war einerseits wohl die Folge der
langjährigen Querelen in der Academia de San Fernando, ande-
rerseits zeigt sich hierin auch ein Charakterzug, der den Freun-
den von Mengs gut bekannt war (s. S. 397). Gemeint ist seine
grundsätzliche Tendenz zur Überschätzung der Fakten, die auch
geringfügige Vorkommnisse zur Staatsaffäre werden ließ und
die Winckelmann mit dem Kommentar bedacht hatte, daß
Mengs aus einer Mücke einen Elefanten mache. Im konkreten
Fall hieß das, daß er die Ereignisse in der Akademie zu wichtig
nahm und seine Rolle innerhalb dieser Institution überschätzte.
Es läßt sich gleichwohl nicht leugnen, daß er in seiner Amtszeit
einen Gemeinschafts- und Verantwortungssinn entwickelte, der
den gleichen Grundsätzen folgte, die er bereits 1756 in seinem
Brief an Guibal ausgesprochen hatte (s. biogr. Dok. 22.4.1756).
In seinem an Preziado gerichteten Schreiben (s. biogr. Dok. 6.9.
1772) bittet er darum, die während seiner Amtszeit eingeführten
neuen Bestimmungen (Decreti) zur Abstimmung zu bringen. An
dem Ergebnis wollte er dann messen, ob er gut oder schlecht ge-
tan habe, sie vorzuschlagen. Auch diese Formulierung zeugt von
einem beträchtlichen Bedürfnis nach Anerkennung. Über die be-
sagten Decreti wurde in den Sitzungen des 6.9. und des 11.10.
1772 beraten und abgestimmt. Mit dem Ergebnis konnte Mengs,
der bei dieser Abstimmung zugegen war, zufrieden sein. Es
wurde beschlossen »daß sie so gelten sollten wie sie in den vor-
ausgegangenen Sitzungen mit der einstimmigen Zustimmung
der anwesenden Akademiker registriert worden waren.«277 Um
welche Regelungen es sich dabei im Einzelnen handelte, läßt
sich nur aus den Protokollen entnehmen, da die geplante neue
Publikation der Statuten nicht zustandekam.278 Daß sich Mengs
durch die Art seiner Amtsführung Anerkennung erwarb, belegt
schließlich die positive Reaktion der Akademiker auf den Vor-
schlag des Baron Edelsheim und des Rat Reiffenstein, die dafür
plädiert hatten, ihn durch eine Bronzebüste zu ehren, die in ei-
nem Saal der Akademie aufgestellt werden sollte (s. biogr. Dok.
31.7.1773). Die Ausführung dieses Plans unterblieb jedoch, da
sich Mengs entschieden gegen eine solche Ehrung wehrte (s.
biogr. Dok. 7.8.1773).
5. »Anietzt will ich die Akademie als eine Schule
ansehen«: die Ausbildung der Künstler
und die Aktzeichnung
Das Prinzipat von Mengs stand unter dem Zeichen des akademi-
schen Studiums, dessen wichtigster Bestandteil die Aktzeich-
nung war. Die Accademia del Nudo vj'&x die einzige Einrichtung
der römischen Akademie, die sich der künstlerischen Ausbil-
dung widmete.279 Ansonsten wurde die Lukasakademie ihrer
Ausbildungsfunktion nur durch die in festem Turnus stattfin-
denden öffentlichen Concorsi gerecht; im übrigen aber war sie
eigentlich mehr ein Berufs- und Interessenverband mit vorran-
gig repräsentativen und auf die Einhaltung der Statuten konzen-
trierten administrativen Aufgaben.280 Die an anderen europäi-
schen Akademien üblichen Stipendien oder Unterrichtsklassen
hatte es hier trotz gelegentlicher Initiativen zu einer systema-
tischen Ausbildung281 niemals gegeben, was eine Folge des
Standortes Rom war. Da alle Künstler nach Rom pilgerten, hatte
man es versäumt oder nicht für nötig gehalten, sich um die Or-
ganisation und Regelung der Ausbildung zu bemühen. Dazu
kam, daß die Räumlichkeiten der Akademie sehr beengt waren
und unzureichend für didaktische Aktivitäten gewesen wären.282
Mengs, der einen präziseren und anspruchsvolleren Begriff von
den Aufgaben einer Kunstakademie hatte,283 wie aus der Ge-
schichte seiner Beziehungen zur Academia de San Fernando
hervorgeht, fand sich ebenso wenig wie einige seiner Vorgänger
im Amte des Principe - vor allem sind hier Federico Zuccari284,
Pietro da Cortona, Andrea Sacchi, Carlo Maratti und Sebastiano
Conca zu nennen - mit diesem Tatbestand ab. Eines der neuen
Decreti, die unter seiner Amtsführung beschlossen wurden, be-
traf das Verhältnis zwischen den zur Ausbildung berechtigten
Akademikern und ihren Lehrlingen. Vorgetragen hatte es der
mit Mengs näher bekannte Perspektivmaler Baldassare Or-
sini.285 Er beantragte am 7.7.1771 die Ausstellung eines Attests,
in dem die Akademie bestätigte, daß es in Rom nicht üblich sei,
Das Italienische Intermezzo (1770-1774) und seine Schauplätze 303