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Röttinger, Heinrich
Dürers Doppelgänger — Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Heft 235: Strassburg: J. H. Ed. Heitz, 1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.69949#0302
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licher Interessen Dürer und Vischer auch menschlich verband,
wissen wir nicht. Aber die noch von Neudörfer gerühmte
Bonhomie des einen und die hohen sittlichen Eigenschaften
des anderen machen einen Freundschaftsbund der beiden
glaublich, und die Unbedenklichkeit, mit der Vischer mit Dü-
rers Zeichnungen schalten durfte, stimmt dem zu.
Auch der, dem die Verschiedenheit der gesellschaftlichen
Unterlagen deutschen und italienischen Künstlertums die
Lust zu Parallelen trübt, wird angesichts des erweiterten
Werkes Vischers der Versuchung nicht leicht entgehen, ihn
und Dürer Michelangelo und Raffael gegenüberzustellen. Aeus-
serlichkeiten scheinen dem Beginnen günstig: Vischer, Plasti-
ker und Maler, der deutsche Michelangelo, Dürer der
deutsche Raffael. Wesentliches aber ist hinderlich: der
überragende Geist war an der Pegnitz nicht wie am
Tiber der Plastiker, sondern der Maler; nicht auf ge-
trennten Wegen wie die beiden italienischen Maler be-
fahren die deutschen den Bereich ihrer Kunst, sondern
der eine von ihnen zieht im Schatten des andern einher; und
steht der Annahme eines freundschaftlichen Verhältnisses
zwischen den beiden Deutschen wenigstens nichts im Wege,
so wissen wir von den Italienern das Gegenteil.
Vasari sagt von Raffael, er habe, wenn er zu Hofe ging,
fünfzig Maler um sich gehabt, die, alle tüchtig und gut, ihm
das Geleite gaben, um ihn zu ehren. So stattlich sich zu geha-
ben, war der deutschen Künstlerschaft auch in ihrem glanz-
vollsten Vertreter nicht gegönnt. Kein Julius II. bot mit seinen
Aufträgen Dürern Gelegenheit zu einem täglich sich erneuern-
den Triumphzuge; was Kaiser Max von ihm verlangte, war in
der Stube am Tiergärtnertore abzutun. Aber auch wenn dem
nicht so gewesen wäre, — nicht fünfzig Maler, alle tüchtig und
gut, sondern ein freundnachbarlich aushelfender Rotschmied
und allenfalls dessen dritter Sohn hätten des auf der Höhe
seines Lebens wandelnden Meisters ganzes Gefolge gebildet. Es
war allmählich einsam um ihn geworden, einsam wie binnen
Jahresfrist von jenem 6. April 1528 an, an dem Dürer starb,
auf den Höhen der nürnbergischen Kunst selbst. Im Sommer
des Jahres folgte Dürern der jüngere, am 7. Jänner 1529 beiden
der ältere Vischer. Was das Jahr das deutsche Volk gekostet hat,

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