196
Unterm 26. Juni 1548 verpflichtet sich der Nobile Mastro Leonardo di
Gratia de Pistoja für 400 Dukaten nach Modell eine Altartafel anzufertigen für
die Verkündigung. Sie stellte eine Beweinung dar und befand sich im Kor, wo
sie beim Brande der Kirche mit unterging.
Die Lebhaftigkeit der Darstellung und des Ausdrucks verschaffte den Werken
des Pistoiesen eine große Volkstümlichkeit. In S. Marien-der-Geburt (1. Kap. r.)
befindet sich ein hl. Michael, der dem Beschauer sowohl durch seine Größe als auch
durch den lebhaften Ausdruck und die malerische Eigenart auffällt. Er ist auf Holz in
silbrigen Temperafarben gemalt. Ein schöner ursprünglicher Rahmen umschließt das
hochgestellte Rechteck mit dem Halbrundfelde darüber. Die Himmelslinie liegt (wie
bei Girlandajo) sehr tief, wodurch das Bild etwas sehr Weiträumiges und Luftiges
erhält. Der Himmel ist grünlich-blau; ein schmales Lichtband zieht sich am Horizonte
hin. Gegen diese Luft steht der Erzengel, der als schöner Jüngling in antikischer
Rüstung nach rafaelischer Art den Fuß auf den Nacken des Ungeheuers setzt, das
er im Begriff ist zu vernichten. Es ist ein sehr steifer, ungelenker und manierierter
Krieger, dessen gipsiger Ton nicht erquicklich wirkt. Vor ihm liegt ein gar wunder-
liches Ungetüm: es hat die verzerrten Züge einer mit dem Tode ringenden jungen
Frau, deren Schönheit in ihrer peinlichen Lage allerdings möglichst geschont wird.
Über den üppigen Busen und Leib legt sich das reiche Haar und bildet auf letzterem
das seltsame Gesicht eines Mannes, der entrüstet den Mund zu öffnen scheint. Am
Boden liest man:
ET FECIT VICTORIAM
HALLELUIA
Erzählt wird, das Ungeheuer stelle eine schöne Neapolitanerin vor, die es gewagt
habe, den Kardinal Diomed Karrafa, Leonhards Gönner, in der Art des hl. Anton
von Padua zu versuchen, was indes der Kardinal siegreich zurückgewiesen habe.
In Erinnerung daran habe er dann das Bild gestiftet. Wie immer es sich damit
verhalten mag (und eine weniger wohlwollende Deutung ist nicht allzu schwer): das
Bild ist ganz in den Besitz des Volkes übergegangen. Wenn es von einer ver-
führerischen Schönheit sprechen will, so wird von dem Neapolitaner der »Teufel von
der Mergellina« zitiert1). Ähnlich muß ein hl. Georg gewesen sein, der sich in
Groß-S. Georgen in der Kapelle der Cotugno befand. Der Heilige im Harnisch
saß auf dem Bilde mutig zu Pferde, bereit, den Drachen zu töten, darunter ein Stifter
aus dem Hause Cotugno betend; das war aber so seltsam dargestellt, daß man
seitdem, wenn man ausdrücken wollte, Jemand suche sich prahlerisch hervorzutun,
sagte: »er tut wie der Georg Cotugno«.
»In Groß St. Johann im Mittelschiff rechts ist eine Tafel, auf der sich der
vom Kreuz genommene Krist im Schoße der Mutter, getragen von zwei Engeln,
befindet, ein Werk des Lionardo da Pistoia« (Celano). D’Engenio verlegt es
1) Der Stadtteil, in der die Kirche liegt
Unterm 26. Juni 1548 verpflichtet sich der Nobile Mastro Leonardo di
Gratia de Pistoja für 400 Dukaten nach Modell eine Altartafel anzufertigen für
die Verkündigung. Sie stellte eine Beweinung dar und befand sich im Kor, wo
sie beim Brande der Kirche mit unterging.
Die Lebhaftigkeit der Darstellung und des Ausdrucks verschaffte den Werken
des Pistoiesen eine große Volkstümlichkeit. In S. Marien-der-Geburt (1. Kap. r.)
befindet sich ein hl. Michael, der dem Beschauer sowohl durch seine Größe als auch
durch den lebhaften Ausdruck und die malerische Eigenart auffällt. Er ist auf Holz in
silbrigen Temperafarben gemalt. Ein schöner ursprünglicher Rahmen umschließt das
hochgestellte Rechteck mit dem Halbrundfelde darüber. Die Himmelslinie liegt (wie
bei Girlandajo) sehr tief, wodurch das Bild etwas sehr Weiträumiges und Luftiges
erhält. Der Himmel ist grünlich-blau; ein schmales Lichtband zieht sich am Horizonte
hin. Gegen diese Luft steht der Erzengel, der als schöner Jüngling in antikischer
Rüstung nach rafaelischer Art den Fuß auf den Nacken des Ungeheuers setzt, das
er im Begriff ist zu vernichten. Es ist ein sehr steifer, ungelenker und manierierter
Krieger, dessen gipsiger Ton nicht erquicklich wirkt. Vor ihm liegt ein gar wunder-
liches Ungetüm: es hat die verzerrten Züge einer mit dem Tode ringenden jungen
Frau, deren Schönheit in ihrer peinlichen Lage allerdings möglichst geschont wird.
Über den üppigen Busen und Leib legt sich das reiche Haar und bildet auf letzterem
das seltsame Gesicht eines Mannes, der entrüstet den Mund zu öffnen scheint. Am
Boden liest man:
ET FECIT VICTORIAM
HALLELUIA
Erzählt wird, das Ungeheuer stelle eine schöne Neapolitanerin vor, die es gewagt
habe, den Kardinal Diomed Karrafa, Leonhards Gönner, in der Art des hl. Anton
von Padua zu versuchen, was indes der Kardinal siegreich zurückgewiesen habe.
In Erinnerung daran habe er dann das Bild gestiftet. Wie immer es sich damit
verhalten mag (und eine weniger wohlwollende Deutung ist nicht allzu schwer): das
Bild ist ganz in den Besitz des Volkes übergegangen. Wenn es von einer ver-
führerischen Schönheit sprechen will, so wird von dem Neapolitaner der »Teufel von
der Mergellina« zitiert1). Ähnlich muß ein hl. Georg gewesen sein, der sich in
Groß-S. Georgen in der Kapelle der Cotugno befand. Der Heilige im Harnisch
saß auf dem Bilde mutig zu Pferde, bereit, den Drachen zu töten, darunter ein Stifter
aus dem Hause Cotugno betend; das war aber so seltsam dargestellt, daß man
seitdem, wenn man ausdrücken wollte, Jemand suche sich prahlerisch hervorzutun,
sagte: »er tut wie der Georg Cotugno«.
»In Groß St. Johann im Mittelschiff rechts ist eine Tafel, auf der sich der
vom Kreuz genommene Krist im Schoße der Mutter, getragen von zwei Engeln,
befindet, ein Werk des Lionardo da Pistoia« (Celano). D’Engenio verlegt es
1) Der Stadtteil, in der die Kirche liegt