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Stil und Chronologie der Werke

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Zu Oettinger nahm H. von Einem (1942)9" unmittelbar Stellung. Zwar sah
auch er im Monforte-Altar ein Werk aus der Zeit um 1470; er widersprach aber
nachdrücklich einer Ableitung von italienischen Vorbildern und verwies auf
die motivische und stilistische Bezugnahme gerade des Monforte-Altars auf die
Kunst Jan van Eycks und Rogier van der Weydens9s. Im stilistischen Wandel
vom »eyckischen« Monforter zum Portinari-Altar und darüberhinaus lag für
von Einem die

»... zunehmende Vertiefung des religiösen Gehaltes, die van der Goes' späteren Wer-
ken ihr Gepräge verleiht... Hatte van der Goes im Monfortealtar die glückliche Aus-
gewogenheit der Eyckschen Kompositionen beibehalten können, so beobachten wir
am Portinarialtar zum ersten Mal die Spannung zwischen Natur und Übernatur (die
bei Roger zugunsten der Übernatur entschieden worden war). Wir werden sehen, wie
sie bei van der Goes immer mehr zum eigentlichen Thema seiner Kunst wird.«99

Das Wesen des Spätstils lag demnach in der »eigentümlichen Spannung von
Realität und Irrealität«100. Da er in dieser Spannung zugleich auch die »innere
Problematik der niederländischen Kunst des 15. Jahrhunderts« erkennen zu
können glaubte, verzichtete von Emern im Gegensatz zu Friedländer oder
Oettinger ausdrücklich darauf, Hugos stilistische Entwicklung in einen Zu-
sammenhang mit seiner psychischen Erkrankung zu bringen.

Deren Bedeutung für das Verständnis der Kunst des Hugo van der Goes
wurde hingegen von E. Panofsky (1953)101 nachhaltig betont: Der Maler als

»... melancholy genius, exalted and oppressed by the influence of Saturn, subject to
alternate states of creative exultations and black despair, Walking on the dizzy heights
above the abyss of insanity, and tumbling into it as soon as he loses his precarious
balance.«102

Im Hinblick auf die große italienische Kolonie in Brügge (und deren mutmaß-
lichen Besitz an Kunstgegenständen des italienischen Quattrocento) sah auch
Panofsky keinen Anlaß, für die Formulierung des Monforte-Altars eine Ita-
lienreise vor 1467 anzunehmen103. Für ihn war weniger die stilistische Ablei-
tung des Frühwerks des Malers - zu dem er neben dem Monforte Altar auch

S. 89-92; Domscheit (1976), S. 5; Picture Gallery Berlin. Catalogue of Paintings, 13th-18th
Century (Berlin 1978), S. 184f.

Davon abweichend vertraten allein Knipping (1941), S. 121-182, und Rey (1945), S. 29, weiterhin

die Spätdatierung des Monforte-Altars nach 1475.

Zur Forschungsgeschichte des Wiener Diptychons s. u. S. 49-54.

97 Einem (1942), S. 153-199.

98 A.a.O., S. 164.

99 A.a.O., S. 170.

100 A.a.O., S. 193.

101 Panofsky (1953), S. 330-345.

102 A.a.O., S. 330.

103 A.a.O., S. 343; im gleichen Sinne äußerte sich auch Winkler (1964), S. 23.
 
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