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Leben und Nachleben
das Wiener Diptychon und die Frankfurter Madonna rechnete- ein Problem
als vielmehr der Stilwandel vom Monforte- zum Portinari-Altar. Um diesen
erklären zu können, dachte Panofsky an die Möglichkeit des Einflusses fran-
zösischer Kunst, der Hugo auf einer hypothetischen Reise nach Burgund be-
gegnet sein könnte: Im Winter 1473/74 wurden die sterblichen Überreste
Philipps des Guten und seiner Gattin, Isabellas von Portugal, von Brügge in
die Grablege der burgundischen Valois-Herzöge, die Kartause Champmol bei
Dijon, überführt. Van der Goes war an der Ausgestaltung von St. Pharahildis
beteiligt104, wo die Leichname in Gent vorübergehend aufgebahrt wurden,
und - so Panofskys Gedanke - möglicherweise gehörte der Maler zu der um-
fangreichen Eskorte auf der Uberführung von Gent nach Dijon:
»It is in France, especially in the works of Jean Fouquet and his circle, that Hugo van
der Goes could have seen that barish space, those cooler colors and those whitish faces
which distinguish the Portinari triptych from the Monforte altarpiece. It is in France
and in the same circle ... that he could have encountered those >triangular< and some-
what prognathous physiognomies which are so foreign to the Flemish tradition.«103
Anders als Oettinger und von Einem sah Panofsky in Hugos Werk eher die
Ausnahme als die Regel für die Entwicklung der Kunst in den südlichen Nie-
derlanden der 1470er und 1480er Jahre. Im Gegensatz hierzu folgte die Reihe
der Werke für F. Winkler (1964) wiederum primär der Logik der inneren Ent-
wicklung des Malers. Die Seelenkrankheit konnte daher im Blick auf Hugos
künstlerische Entwicklung beiseite gelassen werden.
Abgesehen von der umstrittenen Datierung des Wiener Diptychons - Früh-
werk um 1467/68 oder Vorläufer der Spätwerke um 1477 - schien die Goes-
Forschung die Frage der Stilentwicklung und Chronologie einvernehmlich ge-
klärt zu haben: Vom Monforte- über den Portinari-Altar und die Edinburgher
Flügel zur Hirtenanbetung und zum Marientod. Diese Sicht der Entwicklung
wurde allerdings nachhaltig von den Überlegungen O. Pächts (19 69)106 zum
Wandel der weiblichen Kopftypen in den Werken van der Goes' in Frage ge-
stellt. Pächt beobachtete das deutliche Abweichen des Gesichtstypus' der weib-
lichen Heiligen und Engel des Portinari-Altars und der Edinburgher Flügel
von der Kopftypik sowohl der frühdatierten Werke - Wiener Diptychon und
Monforte-Altar - als auch der allgemein spät angesetzten Arbeiten wie Hirten-
anbetung und Marientod. Während die »dreikantige« Kopfbildung mit breiter
Stirnpartie über kleinem, spitz zulaufendem Untergesicht, die den Frauen und
Engeln in Florenz und Edinburgh ein herbes, ältliches Aussehen verlieh,
104 Imaginair Museum, Doc. XVIII.
105 Panofsky (1953), S. 344. Die Möglichkeit einer Frankreichreise wurde von Winkler (1964), S. 2,
abgelehnt.
106 Pächt (1969), S. 43-58.
Leben und Nachleben
das Wiener Diptychon und die Frankfurter Madonna rechnete- ein Problem
als vielmehr der Stilwandel vom Monforte- zum Portinari-Altar. Um diesen
erklären zu können, dachte Panofsky an die Möglichkeit des Einflusses fran-
zösischer Kunst, der Hugo auf einer hypothetischen Reise nach Burgund be-
gegnet sein könnte: Im Winter 1473/74 wurden die sterblichen Überreste
Philipps des Guten und seiner Gattin, Isabellas von Portugal, von Brügge in
die Grablege der burgundischen Valois-Herzöge, die Kartause Champmol bei
Dijon, überführt. Van der Goes war an der Ausgestaltung von St. Pharahildis
beteiligt104, wo die Leichname in Gent vorübergehend aufgebahrt wurden,
und - so Panofskys Gedanke - möglicherweise gehörte der Maler zu der um-
fangreichen Eskorte auf der Uberführung von Gent nach Dijon:
»It is in France, especially in the works of Jean Fouquet and his circle, that Hugo van
der Goes could have seen that barish space, those cooler colors and those whitish faces
which distinguish the Portinari triptych from the Monforte altarpiece. It is in France
and in the same circle ... that he could have encountered those >triangular< and some-
what prognathous physiognomies which are so foreign to the Flemish tradition.«103
Anders als Oettinger und von Einem sah Panofsky in Hugos Werk eher die
Ausnahme als die Regel für die Entwicklung der Kunst in den südlichen Nie-
derlanden der 1470er und 1480er Jahre. Im Gegensatz hierzu folgte die Reihe
der Werke für F. Winkler (1964) wiederum primär der Logik der inneren Ent-
wicklung des Malers. Die Seelenkrankheit konnte daher im Blick auf Hugos
künstlerische Entwicklung beiseite gelassen werden.
Abgesehen von der umstrittenen Datierung des Wiener Diptychons - Früh-
werk um 1467/68 oder Vorläufer der Spätwerke um 1477 - schien die Goes-
Forschung die Frage der Stilentwicklung und Chronologie einvernehmlich ge-
klärt zu haben: Vom Monforte- über den Portinari-Altar und die Edinburgher
Flügel zur Hirtenanbetung und zum Marientod. Diese Sicht der Entwicklung
wurde allerdings nachhaltig von den Überlegungen O. Pächts (19 69)106 zum
Wandel der weiblichen Kopftypen in den Werken van der Goes' in Frage ge-
stellt. Pächt beobachtete das deutliche Abweichen des Gesichtstypus' der weib-
lichen Heiligen und Engel des Portinari-Altars und der Edinburgher Flügel
von der Kopftypik sowohl der frühdatierten Werke - Wiener Diptychon und
Monforte-Altar - als auch der allgemein spät angesetzten Arbeiten wie Hirten-
anbetung und Marientod. Während die »dreikantige« Kopfbildung mit breiter
Stirnpartie über kleinem, spitz zulaufendem Untergesicht, die den Frauen und
Engeln in Florenz und Edinburgh ein herbes, ältliches Aussehen verlieh,
104 Imaginair Museum, Doc. XVIII.
105 Panofsky (1953), S. 344. Die Möglichkeit einer Frankreichreise wurde von Winkler (1964), S. 2,
abgelehnt.
106 Pächt (1969), S. 43-58.