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Sander, Jochen; Holbein, Hans
Hans Holbein d. J.: Tafelmaler in Basel ; 1515 - 1532 — München, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.19342#0100

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Stilpluralismus als künstlerisches Kalkül?

Der stilistischen Vielfalt jener Werke, die man seit Basilius Amerbachs
Zeiten »Holbein« nennt, steht eine wohl annähernd gleich große Zahl
von Vorschlägen zur Erklärung dieses Phänomens gegenüber. So hatte
die frühe Forschung unter Berufung auf die Amerbach-Inventare noch
unbekümmert zu »Holbein« erklärt, was Basilius als solches bezeichnet
hatte - mithin das gesamte in Basel erhaltene »Holbein-CEuvre«. Seit
dem 19. Jahrhundert entwickelte die kunstgeschichtliche Beschäftigung
mit unserem Künstler hingegen verschiedene Strategien, um solche
Werke teils oder auch zur Gänze aus dem Kanon auszuklammern, die mit
der jeweils vorherrschenden Vorstellung von »Holbein« nicht oder nur
schwer in Einklang zu bringen waren. Die Baseler »Passionsflügel«
(Tafel 42) mit ihrem »...eigentümlich hartbunten und dabei geleckten
Charakter«1 wurden beispielsweise dadurch aus dem kanonischen
»OEuvre« entfernt, daß man sie als angeblich durch Restauratorenhand
»...bis zur Unkenntlichkeit entstellt«2 deklarierte. So meinte Andreas
Pardey noch im Jahre 1996, daß sich über die Auswirkungen der Grooth-
schen Restaurierung »... für die Farbe, die Gesichter der Figuren und für
die allgemeine Erscheinung des Altars« nur spekulieren lasse.3 Im Falle

60 Hans Holbein d.J., Bildnis des Cyriacus Kaie, Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-
Museum

96 »Holbein-Bilder«. Entstehung und Kritik

der auffälligen Stildifferenz zwischen den italianisierend-idealisierend
gegebenen biblischen Darstellungen und den nordalpin-detailrealistisch
geschilderten Stifterfiguren auf den Flügeln des »Oberried-Altars« im
Freiburger Münster (Tafel 36-37) nahm man Zuflucht zur Annahme
einer angeblichen Zusammenarbeit des älteren Holbein mit seinem
Sohn.4 Bei der Baseler Passionsfolge auf Leinwand (Tafel 7-11) schließ-
lich wurde unter Hinweis auf qualitative und stilistische Unterschiede
Ambrosius Holbein ebenso als »Nothelfer« herangezogen wie diverse
namentlich bekannte Baseler Maler - Hans Herbst und Hans Dyg - oder
weitere unbekannte Künstler aus deren Werkstätten.

Der jüngste Versuch, die Stilvielfalt des »Holbeinschen« Schaffens in
Basel zu erklären, kehrte in gewisser Weise zu einer vereinheitlichenden
Sicht des »Holbein-Werks« zurück:3 So wurden Stilunterschiede von
Oskar Bätschmann und Pascal Griener weniger als brauchbare Kriterien
für Zu- oder Abschreibungen betrachtet, sondern vielmehr zur bewußt
eingesetzten künstlerischen Strategie des Malers deklariert, mit der die-
ser versucht habe, sich auf dem internationalen Kunstmarkt durchzuset-
zen. Bätschmann äußerte sich 1997 folgendermaßen:
»Unter der historiographischen Prämisse des Stils und der Stilepochen
erscheint Holbeins Werk bis über die Mitte der zwanziger Jahre hinaus als
disparat oder eklektisch. Die Problematik der verschiedenen Stile des frü-
hen Holbein haben Franz Kugler und Jacob Burckhardt 1847 formuliert:
>Bei diesem Allem sind seine Werke von äußerst verschiedenartigem Styl;
er war ein frühreifes und höchst bewegliches Talent und nahm Einflüsse
von verschiedensten Seiten auf, bis die ursprüngliche Richtung berei-
chert wieder hervortrat.< Diese schematische Vorstellung der individuel-
len Entwicklung als Gang durch Entfremdung und Bereicherung zur
Selbstfindung revidierte Burckhardt in seiner Vorlesung Außeritalieni-
sche neuere Kunst seit dem XV. Jahrhundert von 1891, indem er auf die
beliebige Kombination architektonischer Formen und auf die Differen-
zierung nach Aufgaben hinwies.«6

Wenig später führte Bätschmann diesen Gedanken weiter aus:
»Mit Burckhardts Ansätzen für eine Kunstgeschichte nach Aufgaben lässt
sich behaupten, Holbein habe nicht einen Stil als Norm anerkannt, son-
dern nach Aufgaben und für Wirkungen gearbeitet. Allerdings ist damit
Holbeins Angebot für eine europäische Kundschaft noch nicht ausrei-
chend charakterisiert...

Holbein übernahm figürliche und architektonische Motive, Bildmuster,
ikonographische Schemata, wandelte sie ab, kombinierte sie und setzte
sie in neue Zusammenhänge ein. Nach den Anfängen in Basel und
Luzern kopierte er jedoch nicht mehr Arbeiten anderer Meister. Deshalb
ist es schwierig, seine visuellen Referenzen präzis zu bestimmen. Selbst in
der anscheinend einfachen Übernahme werden die Motive verwandelt
und neu gefasst...

Es geht [wie von Bätschmann und Griener zuvor an den Baseler »Pas-
sionsflügeln« aufgezeigt; JS] um eine Verwandlung und Anreicherung
des Tradierten durch eine Integration von südlichen Mustern in nördli-
che Schemata. Bis zu den >Triumphzügen<... für den Stahlhof in London
1533 war dies das grosse Vorhaben Holbeins, das zunächst zur Erneue-
 
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