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Sander, Jochen; Holbein, Hans
Hans Holbein d. J.: Tafelmaler in Basel ; 1515 - 1532 — München, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.19342#0107
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möglich. Erst am 25. September 1519 wurde Hans Holbein d. J. in Basel
»zünftig« und nur wenige Tage später, am 14. Oktober, signierte er mit
dem Amerbach-Bildnis sein erstes Gemälde in Basel mit vollem Namen.
Lediglich »HH 1516« lautet hingegen die Bezeichnung im gemalten
Architekturfries des Doppelporträts des Baseler Bürgermeisters lacob
Meyer zum Hasen und seiner Frau Dorothea Kannengießer
(Tafel 21-22), das als frühreifes Meisterwerk des jungen Hans Holbein
gilt, seitdem es Remigius Faesch, ein direkter Nachfahre des dargestellten
Paares, in seinen seit 1628 zusammengetragenen »Humanae Industriae
Monumenta« erstmals so genannt hatte.26

Angesichts der deutlichen Unterschiede zu Herbsts 1515 datiertem
Darmstädter Jünglingsbildnis - sie betreffen nicht nur malerische Hand-
schrift und Stil, sondern auch den Grad der psychologischen Erfassung
der dargestellten Personen - scheidet Herbst als möglicher Autor des
Baseler Doppelbildnisses ohne jede Frage aus.2/ Gerade diese Gegen-
überstellung macht deutlich, welch überragende Künstlerpersönlichkeit
mit dem 17jährigen Hans in Basel angekommen war. jacob Meyer
scheint dies umgehend erkannt zu haben und an den jungen Künstler
mit seinem Porträtauftrag herangetreten zu sein; daß Holbein von
Anfang an mit diesem Werk betraut war und nicht etwa erst nachträglich
dem Hans Herbst (der als seit langem in Basel etablierter Künstler für
einen solchen Auftrag doch viel eher in Frage gekommen wäre als ein
zugereister Geselle) zur Hand gegangen ist, zeigen die beiden Silberstift-
zeichnungen (Abb. 71—72), die der junge Hans in Vorbereitung der Tafel-
bilder anfertigte. Der glückliche Umstand der zufälligen Übereinstim-
mung seines eigenen Monogramms mit dem seines mutmaßlichen
Baseler Meisters ermöglichte es Holbein offenbar, sein Werk gleichsam
»signieren«, zugleich aber auch den Zunftbestimmungen entsprechen zu
können.28 Doch wenn dem so war - welche Arbeiten könnten den weit-
läufigen, weitgereisten Jacob Meyer zum Hasen29 von der überragenden
Qualität des jungen Hans Holbein bereits im Jahre 1516 derart überzeugt
haben, daß er sich anschließend von ihm porträtieren lassen wollte? Kön-
nen dies »H. Holbeins erste arbeiten«, die Heiligenköpfe oder die Bilder
der »Leinwand-Passion«, gewesen sein?

Die beiden gut 20x20 cm messenden Tafelbildfragmente mit den Heili-
genköpfen zeigen die Büsten einer jugendlichen, gekrönten weiblichen
Heiligen bzw. eines männlichen Heiligen ( Tafel 19-20).30 Beide Figuren
sind nimbiert und vor hellblauem Hintergrund dargestellt. Während der
Mann - vielleicht ist der Evangelist Johannes gemeint - sein Haupt leicht
nach links gewandt hat und in diese Richtung aus dem Bild herausblickt,
ist die Frau fast frontal dargestellt, ihr Kopf nur sanft nach links geneigt
und ihr Blick auf den Betrachter gerichtet. Das hagere, bartlose Gesicht
des Mannes wird ebenso wie das volle Antlitz der jungen Frau von brau-
nen, leicht lockigen Haaren gerahmt, die bei der Heiligen bis über die
Schultern herabfallen. Der junge Heilige trägt einen anscheinend farbig
zweigeteilten Rock, dessen Stofflichkeit Undefiniert bleibt und der über
seiner rechten Körperseite hell-, über der linken hingegen dunkelgrün
ist. Ein dunkelkarminroter Umhang ist über die linke Schulter geworfen.
Die Frau hingegen ist mit einem hochgeschlossenen, altrosafarbenen
Rock bekleidet, der mit schwarzen Ziersäumen versehen ist und vor der
Brust von einer goldenen Schließe zusammengehalten wird; darüber
trägt sie einen hellgrünen Überwurf. Beide Bilder sind flott gemalt; auf
ein Vertreiben der Farben ist kein besonderer Wert gelegt worden, was
vor allem in den mit reichlich Bleiweiß abgemischten Farbtönen der
Hautpartien sehr deutlich wird.

Ganz anders kommen Abendmahl und Geißelung aus der Serie der
»Leinwand-Passion« (Tafel 7, 11) daher.31 In mageren Farben auf grobe,
etwa 144x155 bzw. 138x115cm messende Leinwände gemalt, sind diese
Bilder in ihrer betont linearen, buntfarbenen Gestaltung offenbar auf
Fernwirkung berechnet. In der Abendmahlsdarstellung ist der Tisch L-
fömig in einem Innenhof aufgeschlagen. Dies ermöglicht dem Maler eine
dramatische Gegenüberstellung von Christus und ludas: Während der
Herr im Kreise der Apostel an der Tafel Platz genommen hat, steht Judas
im Winkel der Tische und beugt sich vor, um den Brotbissen aus der
Hand Christi zu empfangen. Die übrigen Apostel verfolgen das Gesche-
hen mehr oder minder aufmerksam, während Johannes im Schöße Chri-
sti eingeschlafen ist. Rechts im Hintergrund ist unter einer Art tonnen-
gewölbtem Tabernakel die Fußwaschung ins Bild gesetzt. Christus kniet
vor Petrus, der seine Füße bereits in die Waschschüssel gestellt hat, wäh-
rend sich die übrigen Apostel um die beiden drängen.

Die Geißelung ist ins Innere eines Gebäudes verlegt. Unter den Schlä-
gen seiner Quälgeister sich windend, ist der vollständig entkleidete Chri-
stus an eine mächtige Säule gefesselt. Die Arme sind hochgereckt und mit
Stricken an einen weit oben an der Säule angebrachten Metallring gebun-
den; ein weiteres um seinen Leib geschlungenes Seil zwingt ihn an den
Stein. Als wolle er den Geißelhieben des rechts stehenden Henkers-
knechts ausweichen, hat Christus seinen linken Oberschenkel über das
andere Bein geschlagen und verdeckt auf diese Weise nur unzureichend
seine Blöße. Holt der rechte Henkersknecht gerade zum Schlag aus, pau-
siert sein mit einem Rutenbündel bewehrter Genosse links für einen
Moment. Doch er tut dies nicht etwa aus Mitleid mit seinem von zahl-
reichen Geißelwunden gezeichneten Opfer, sondern um diesem verächt-
lich in das zur Seite gesunkene, schmerzverzerrte Gesicht zu spucken. Ein
dritter Scherge kniet links hinter der Säule am Boden, um sein unter der
Wucht der Schläge auseinandergebrochenes Rutenbündel erneut
zusammenzubinden, und blickt dabei gaffend zu Christus auf. Der Bos-
heit der Henkersknechte entsprechen nicht nur ihre überzeichneten
Physiognomien, sondern auch die - neben Christi Nacktheit - besonders
obszön wirkende Betonung ihrer Schamkapseln, die zu ihrer zeitgenössi-
schen Landsknechtstracht gehören. In kontemplativer Ruhe ist hingegen
ein älterer Mann mit langem Rock und Turban dargestellt, der von rechts
durch eine Türe in den Folterraum hereinschaut und der vermutlich auf
Pilatus anspielen soll.

Für die Heiligenköpfe wie für die beiden Passionsszenen gilt, daß sie
kaum etwas mit dem Erscheinungsbild späterer, für Hans Holbein d. J.
gesicherter Werke gemein haben. Dies ist zwar immer wieder betont wor-
den, doch verursachte Amerbachs Holbein-Zuschreibung zumindest bei
den Heiligenfragmenten kaum einem Forscher Kopfzerbrechen.32 Auch
Bezüge zu Gemälden Hans Holbeins d.Ä. aus den frühen 1510er Jahren
lassen sich nicht fassen. Insbesondere die Gemälde der »Leinwand-Pas-
sion« unterscheiden sich mit ihren höchst dramatisch bewegten Figuren,
ihren expressiven, teils karikaturhaft überzeichneten Köpfen und ihrer
grellen Farbigkeit von entsprechenden Marterszenen des älteren Holbein
wie denen vom Katharinen- oder Sebastiansaltar (Abb. 27, 28), deren
Entstehung der junge Hans in Augsburg doch mitverfolgt haben muß.
Gerade bei der auf Grund von Amerbachs Inventar immer wieder für
den jungen Hans in Anspruch genommenen, höchst expressiven Geiße-
lung sind die Unterschiede zum Schaffen des Vaters eklatant. Doch wie ist
dieser Umstand zu deuten? Handelt es sich hier um eine Arbeit aus der
»Sturm und Drangperiode«33 des jungen Malers, mit der er sich in der
Betonung der Brutalität der Szene ganz bewußt von den eher lyrisch-ver-

Holbein vor Holbein. Ein problematisches Frühwerk 103
 
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