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Sauer, Bruno
Das sogenannte Theseion und sein plastischer Schmuck — Leipzig, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.953#0101
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OSTGIEBEL: RAHMENFIGUREN 87

ich: es ist der natürlichste und nächstliegende Gedanke, in diesen vier Gestalten Lokalgötter,
seien es reine Personifikationen von Land und Wasser, seien es persönlichere, hier aber nur als
Nachbarn des Lokals der Hauptszene zu Zeugen geladene Gottheiten zu erkennen. Und in
dieser Auffassung bestärkt mich die Zugabe von Tiergestalten, die als Lokalbezeichnungen
zweifellos oft verwendet werden und selbst gegen die Absicht des Künstlers beim Beschauer
zunächst örtliche Vorstellungen erwecken müssten. Ich erkenne also in dem Gelagerten B,
da er höchstwahrscheinlich einen Delphin neben sich hatte, einen Vertreter des Meeres oder
Strandes, in seinem Gegenstück, dem Weib M, dem ich einen Vogel beizugesellen genötigt
war, entweder ein Gleiches oder auch eine Vertreterin des Binnengewässers, z. B. eine Quell-
nymphe1. Bestimmte Namen habe ich für keine der vier Gestalten vorzuschlagen, nur ihr
Benehmen gilt es in den Hauptzügen noch zu motivieren.

B und M heben sich so hoch über den Giebelboden empor, dass es sinnlos wäre, sie
nicht nach der Mitte blicken zu lassen. Wie die anderen, den Giebelecken zu liegenden Arme
bewegt waren, bleibt ungewiss; nur um Eintönigkeit zu vermeiden, habe ich Lübke's Vorschlag
gut geheissen, die Linke von M das Gewand lüften zu lassen. Wallendes Gewand wie beim
„Kephisos" B des Parthenonwestgiebels ist zur Füllung des leeren Raumes zwischen Rumpf
und rechtem Arm von M benützt; ähnliches, nur knapper gehaltenes wäre bei B wohl mög-
lich, würde aber am Eindruck wenig ändern. Das Mädchen C folgt mit seinem Blick dem
Deuten der Aglauros; umsomehr war ihre ursprüngliche, durch die Lage der Beine2 gesicherte
Abwendung zu betonen, demnach die linke Hand möglichst weit nach links zu verlegen. Bei
dem Knaben L kann man zweifeln, ob er der Mitte oder seiner Nachbarin sich zuwandte.
Deute ich die Stellung richtig, so hebt er sich aus dem Sitz etwas in die Höhe, und das
scheint mir am besten auf neugieriges Spähen zu passen, Interesse für anderes momentan
ziemlich auszuschliessen; ich habe also den Kopf der Mitte zugewendet und dem rechten Arm
eine Geberde lebhaften Staunens und zwar eine solche gegeben, die keine besondere Stützung,
weder von der Giebelwand, die keine Spur davon aufweist, noch vom Schlangenleib des Kekrops
aus nötig machte.

Ueber die Tiere ist nur zu bemerken, dass wie der Delphin As auch der Vogel N
soweit möglich der Mitte zustreben sollte und dass deshalb die auch den Raum gut füllende
Streckung seines Halses gewählt wurde.

Energischere Mitwirkung der Hypothese verlangt die westliche Giebelgruppe. Um
auch hier vom Sichersten auszugehen, vollenden wir zunächst die Rekonstruktion der Gespanne
und ihrer Lenker.

Dass Helios eine weit zurückflatternde, bis zum Ende der langgestreckten Bettung
reichende Chlamys hatte, ist schon festgestellt worden. Das Kentron in der Rechten wollte
ich nicht missen, wenn es auch wenig sichtbar wird. Dass ein Strahlenkranz da war, ist trotz
gleichzeitiger oder wenig jüngerer Vasenbilder zu unsicher, als dass es in die Zeichnung hätte
aufgenommen werden dürfen. Die Stellung der Pferde hält sich nicht pedantisch genau an

1 Vgl. den Flussgott mit dem Schwimmvogel im pergamenischen Telephosfries Jahrb. d. Inst. III S. 93,

2 Der linke Fuss müsste sich, was ich bei der Schlussrevision übersehen habe, noch genauer in den rechten Winkel bei a
schmiegen, wodurch die Randliicke sich noch besser als jetzt füllen würde.

3 Sein Kopf müsste wohl, gegen die Natur, sich noch mehr gegen den Beschauer zu drehen, als es in der Zeichnung
geschehen ist, die in diesem Punkte mehr an den im ganzen vortrefflich vergleichbaren Terrakottadelphin Olympia III Taf. 8, 6 erinnert.
 
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