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88 AUSGESTALTUNG DER GIEBELGRUPPEN

die Umrisse der Bettungen, die ja zunächst nur die Plinthenränder, nicht die Umrisse der
Figuren selbst bestimmen. Ich habe dem Künstler hier ziemliche Freiheit lassen können und
nur die Varianten der Kopfhaltung nach Mustern, die ich nicht einzeln zu nennen brauche,
vorgeschrieben. Die Bedeutung der Löcher s und t erkläre ich mir so, dass in ^ eine Stütze
für den rechten Huf von / sass und dass eine ähnliche Stütze in t beiden Beinen gemeinsam
galt, d. h. dass bis über t die Beine ungetrennt oder wenigstens durch eine kompakte Marmor-
masse verbunden waren, während der von unten am deutlichsten sichtbare linke Huf wirklich
ganz frei schwebte. Vom Zaumzeug der Pferde ist nur das Notwendigste und auch dieses
in den einfachsten Formen angedeutet. Ueber die Pferde des linken Gespannes bleibt danach
nichts mehr zu sagen. Die Lenkerin schräg zurückzulehnen ergab sich von selbst aus dem
Raum, der sogar noch weitere Füllung verlangte. Ein flatterndes Mäntelchen, das der Chlamys
des Helios entspricht, schien mir dazu am besten geeignet.

Die Mittelgruppe, von der sich so wenig Bestimmtes sagen liess, wurde so symmetrisch
wie irgend möglich gestaltet. Anfangs glaubte ich die beiden Göttinnen zu einem auch
äusserlich verbundenen Paar vereinigen zu sollen, indem ich Eurynome die rechte Hand auf
die linke Schulter der Thetis legen liess; doch überzeugten mich Lübke's Versuche, dass die
Kluft zwischen den einander abgewandten Gestalten mit so dürftigen Mitteln nicht zu über-
brücken ist. Ich liess sie also bestehen und begnügte mich, sie mit dem kaum entbehrlichen
Szepter wenn nicht auszufüllen, so doch weniger auffällig zu machen, wobei sich ergab, dass
den leeren Raum, der zwischen den Köpfen der beiden Frauen genau in der Giebelmitte
klaffte, die hoch aufgestützte linke Hand der Thetis füllte. Eurynome musste dann so gestaltet
werden, dass sie, obwohl nach rechts sitzend, nach links auf Hephaist blicken konnte, sie
gewann damit eine ähnliche Erscheinung wie Athena im Ostgiebel. Schliesslich wurde ihr
Szepter, auf Lübke's Vorschlag, schräg in die Lücke zwischen ihr und den Pferden gestellt1
und das Gewand nach dem Muster der Figur K des östlichen Parthenongiebels durchgearbeitet.

Thetis und Hephaist zu einer enggeschlossenen Gruppe zu verbinden, zwang die Er-
wägung, dass der weit vorgebeugte Hephaistos, wenn auch die Stange in i ausreichen mochte
ihn materiell zu stützen, nicht minder für das Auge einer kräftigen Stütze bedurfte, die er
nur an der Figur der Thetis finden konnte. Ich habe mir deshalb, wie schon bemerkt, den
Knienden als Bittenden gedacht, der die eine Hand an das rechte Knie der schutzverheissenden
Göttin legte. Ob dann die andere Hand — es müsste die rechte sein — von der Rechten der
Thetis zum Zeichen der Gewährung ergriffen wurde und damit eine noch engere Verknüpfung
der beiden Figuren eintrat, bleibt natürlich unsicher; ich habe mich gegen diese Gruppierung
nur deshalb entschieden, weil sie mir oberhalb der Arme eine störende Lücke zu lassen schien.
War somit die frei werdende Rechte der Thetis gehoben, so war für sie eine Geberde zu ersinnen,
die geeignet war, die von keiner Seite her besonders unterstützte Hand in ziemlicher Nähe
des Körpers zu halten; ich liess sie deshalb das Obergewand hinter der Schulter etwas empor-
ziehen und glaube damit ein für die Situation sehr passendes Verhalten der durch das Erscheinen
des Fremdlings überraschten Göttin vorzuschlagen. Die Anlage des Gewandes bestimmte die
Figur M des östlichen Parthenongiebels. Am Felsen, der zum Teil mit Gewand verhüllt
wurde, war ein Attribut angebracht, das bei n auf dem Boden festgeheftet war und sich in
die Höhlung zwischen / und m schmiegte; das passt im Zusammenhang unserer Szene gut

1 Als Muster diente besonders das Graienbild der athenischen Pyxis Athen. Mitt. XI (1S86) Taf. 10.
 
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