KRETISCH-MYKENISCHE KUNST
von Professbr Dr. Franz Winter
Kretisch-mykenisch bezeichnen wir die Kunfl: der
griechischen Vorzeit nach den beiden Stätten,
an denen ihr Schaffen zu reichsler Betätigung ge-
langt ist und die großartigsten Werke hervor gebracht
hat. In Kreta beginnt die Entwickelung, durch die
Einflüße von Ägypten und vom Orient her zum An-
stoß gebracht, um 2000 v. Chr. Auf der griechischen
Halbinsel hat länger eine einfachere Kultur ge-
herrscht, die vom Norden her in verschiedenen
Strömen südwärts sich verbreitet hat. Eine ihrer
ältlichen Strömungen hat auch Troja berührt, wo
wir sie in den Funden der zweiten Schicht auf einem
ersten Höhepunkte ihrer Entwickelung vertreten
finden. Auf der griechischen Halbinsel tritt sie uns
in größerer und zusammenhängender Überlieferung
erst um die Mitte des zweiten Jahrtausends ent-
gegen, als bereits die in Kreta ausgebildete Kunsl,
von Süden vordringend, hier Eingang gefunden hatte.
Auf der Verbindung der kretischen mit der in Grie-
chenland heimischen Kultur beruht die namentlich
in der Argolis zu hoher Blüte gelangte mykenische
Kunfl:. Sie hat, weithin über das Mittelmeergebiet
verbreitet, bestanden, bis sie gegen Ende des zweiten
Jahrtausends in den Stürmen der von Norden her
immer erneuerten Völkerverschiebungen unterge-
gangen ist.
Die auf den nachfolgenden Seiten zusammen-
gestellten Abbildungen sollen in charakteristischen
Stücken das Wesentliche dieser Kunst vor Augen
führen. Sie sind so gruppiert, daß das der Art und
Zeit nach Zusammengehörige möglichst beieinander
gehalten ist; dabei ist namentlich für die Einzel-
bildwerke zugleich eine systematische Anordnung
durchzuführen gesucht worden, um über Wichtiges,
wie Tracht, Bewaffnung, Kultus u. a. in gedrängter
Zusammenfasiung einen Überblick zu ermöglichen.
In dieser Auswahl und Anordnung wird das Heft
hoffentlich auch für den Unterricht, insbesondere für
Vorlesungen und Übungen, für die es bisher an
bequem und leicht zugänglichem Vorlagematerial
fehlt, als brauchbares Hilfsmittel dienen können.
Auf Seite 70 — 81 ist eine Übersicht über die wich-
tigsten erhaltenen Ruinenstätten und über Einzel-
heiten der Architektur gegeben. Die Pläne zeigen
die Verschiedenheit der Anlagen in Troja und
Griechenland von denen in Kreta: dort mit starken
Mauern befestigte Burgen von beschränktem Um-
fang mit nebeneinander an einem Hof anliegenden
Einzelgebäuden, in Kreta unbefestigte, weit aus-
gedehnte Baukomplexe mit regelmäßiger Gliederung
der Einzelräume, die in Knosos und Phaestos um
einen großen Zentralhof gruppiert sind. Die Bau-
weise hat in Troja wie in den älteren Anlagen von
Mykenae und Tiryns einen primitiven Charakter
bei aller Großartigkeit des mit einfachen Mitteln
Geleisteten. Das Mauerwerk ist aus Lehmziegeln
mit Holzfachwerk auf Steinfundament aufgeführt.
Auch die Befestigungsmauern haben in Troja über
dem sehr starken und geböschten Steinunterbau einen
Oberbau aus Lehmziegeln (S. 71). In Tiryns sind
sie ganz aus Stein und daher ohne Böschung gebaut,
aus größeren, zum Teil ungeheueren Blöcken, die
zumeist wenig bearbeitet, aber in möglichst durch-
gehenden Schichten gelagert und, wie in Troja, mit
Lehmerde verbunden sind (S. 74, 3), und von
ähnlicher Konstruktion war das sog. Pelargikon, die
älteste Burgmauer von Athen (S. 74, 4). Der
Zusammenhang der trojanischen und der griechi-
schen Anlagen spricht sich am deutlichsten in der
Gleichartigkeit des Systems der Zugänge und Tore,
die als Durchgangsräume mit Vorhalle gebildet sind
(S. 74, 1; 78, 9—13), und des Typus der lang-
gestreckten, in Hauptraum und Vorraum gegliederten
Megara aus. Diese sind in Troja in ihrer alten
Form überliefert (S. 78, 6), während die in Tiryns
und weniger vollständig in Mykenae und Athen
aufgefundenen aus der schon von Kreta beeinflußten
Entwicklungsepoche herrühren, aber auch sie haben
bei Neuerungen im Aufbau doch den alten Grund-
riß bewahrt (S. 78, 7; 73, 2). Dessen längliche Ge-
stalt erklärt sich mit aus der Einfachheit der Bau-
weise, die eine Verteilung der Last durch Zwischen-
stüijen noch nicht kennt, sondern als tragende Glieder
lediglich die daher sehr dick und stark gebauten
Mauern und Wände benutzt. Dadurch war die Breit-
ausdehnung beschränkt, die Größe der Räume allein
in der Längsausdehnung ermöglicht. Alles ist aus
den Bedingungen von Material und Technik und
aus dem Zweck heraus in einfachster Weise ent-
wickelt, noch ohne alle Schmuck- und Kunstsormen.
von Professbr Dr. Franz Winter
Kretisch-mykenisch bezeichnen wir die Kunfl: der
griechischen Vorzeit nach den beiden Stätten,
an denen ihr Schaffen zu reichsler Betätigung ge-
langt ist und die großartigsten Werke hervor gebracht
hat. In Kreta beginnt die Entwickelung, durch die
Einflüße von Ägypten und vom Orient her zum An-
stoß gebracht, um 2000 v. Chr. Auf der griechischen
Halbinsel hat länger eine einfachere Kultur ge-
herrscht, die vom Norden her in verschiedenen
Strömen südwärts sich verbreitet hat. Eine ihrer
ältlichen Strömungen hat auch Troja berührt, wo
wir sie in den Funden der zweiten Schicht auf einem
ersten Höhepunkte ihrer Entwickelung vertreten
finden. Auf der griechischen Halbinsel tritt sie uns
in größerer und zusammenhängender Überlieferung
erst um die Mitte des zweiten Jahrtausends ent-
gegen, als bereits die in Kreta ausgebildete Kunsl,
von Süden vordringend, hier Eingang gefunden hatte.
Auf der Verbindung der kretischen mit der in Grie-
chenland heimischen Kultur beruht die namentlich
in der Argolis zu hoher Blüte gelangte mykenische
Kunfl:. Sie hat, weithin über das Mittelmeergebiet
verbreitet, bestanden, bis sie gegen Ende des zweiten
Jahrtausends in den Stürmen der von Norden her
immer erneuerten Völkerverschiebungen unterge-
gangen ist.
Die auf den nachfolgenden Seiten zusammen-
gestellten Abbildungen sollen in charakteristischen
Stücken das Wesentliche dieser Kunst vor Augen
führen. Sie sind so gruppiert, daß das der Art und
Zeit nach Zusammengehörige möglichst beieinander
gehalten ist; dabei ist namentlich für die Einzel-
bildwerke zugleich eine systematische Anordnung
durchzuführen gesucht worden, um über Wichtiges,
wie Tracht, Bewaffnung, Kultus u. a. in gedrängter
Zusammenfasiung einen Überblick zu ermöglichen.
In dieser Auswahl und Anordnung wird das Heft
hoffentlich auch für den Unterricht, insbesondere für
Vorlesungen und Übungen, für die es bisher an
bequem und leicht zugänglichem Vorlagematerial
fehlt, als brauchbares Hilfsmittel dienen können.
Auf Seite 70 — 81 ist eine Übersicht über die wich-
tigsten erhaltenen Ruinenstätten und über Einzel-
heiten der Architektur gegeben. Die Pläne zeigen
die Verschiedenheit der Anlagen in Troja und
Griechenland von denen in Kreta: dort mit starken
Mauern befestigte Burgen von beschränktem Um-
fang mit nebeneinander an einem Hof anliegenden
Einzelgebäuden, in Kreta unbefestigte, weit aus-
gedehnte Baukomplexe mit regelmäßiger Gliederung
der Einzelräume, die in Knosos und Phaestos um
einen großen Zentralhof gruppiert sind. Die Bau-
weise hat in Troja wie in den älteren Anlagen von
Mykenae und Tiryns einen primitiven Charakter
bei aller Großartigkeit des mit einfachen Mitteln
Geleisteten. Das Mauerwerk ist aus Lehmziegeln
mit Holzfachwerk auf Steinfundament aufgeführt.
Auch die Befestigungsmauern haben in Troja über
dem sehr starken und geböschten Steinunterbau einen
Oberbau aus Lehmziegeln (S. 71). In Tiryns sind
sie ganz aus Stein und daher ohne Böschung gebaut,
aus größeren, zum Teil ungeheueren Blöcken, die
zumeist wenig bearbeitet, aber in möglichst durch-
gehenden Schichten gelagert und, wie in Troja, mit
Lehmerde verbunden sind (S. 74, 3), und von
ähnlicher Konstruktion war das sog. Pelargikon, die
älteste Burgmauer von Athen (S. 74, 4). Der
Zusammenhang der trojanischen und der griechi-
schen Anlagen spricht sich am deutlichsten in der
Gleichartigkeit des Systems der Zugänge und Tore,
die als Durchgangsräume mit Vorhalle gebildet sind
(S. 74, 1; 78, 9—13), und des Typus der lang-
gestreckten, in Hauptraum und Vorraum gegliederten
Megara aus. Diese sind in Troja in ihrer alten
Form überliefert (S. 78, 6), während die in Tiryns
und weniger vollständig in Mykenae und Athen
aufgefundenen aus der schon von Kreta beeinflußten
Entwicklungsepoche herrühren, aber auch sie haben
bei Neuerungen im Aufbau doch den alten Grund-
riß bewahrt (S. 78, 7; 73, 2). Dessen längliche Ge-
stalt erklärt sich mit aus der Einfachheit der Bau-
weise, die eine Verteilung der Last durch Zwischen-
stüijen noch nicht kennt, sondern als tragende Glieder
lediglich die daher sehr dick und stark gebauten
Mauern und Wände benutzt. Dadurch war die Breit-
ausdehnung beschränkt, die Größe der Räume allein
in der Längsausdehnung ermöglicht. Alles ist aus
den Bedingungen von Material und Technik und
aus dem Zweck heraus in einfachster Weise ent-
wickelt, noch ohne alle Schmuck- und Kunstsormen.