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Schäfer, Heinrich; Frank, Carl; Winter, Franz
Kunstgeschichte in Bildern: neue Bearbeitung; systematische Darstellung der Entwicklung der bildenden Kunst vom klassischen Altertum bis zur neueren Zeit (1): Altertum — 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.49707#0117
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DIE KUNST DER HOMERISCHEN ZEIT

Von Professbr Dr.
Der in Heft III gegebenen Behandlung der kretisch-
mykenischen oder ägäischen Kunst lallen wir
in diesem Hefte eine Darstellung der Entwicklung
folgen, die im Beginne des ersten vordiristlichen
Jahrtausends eingetreten ist, als die von Norden
über Griechenland hereingebrochenen, unter dem
Namen der dorischen Wanderung zusammengefaßten
Völkerverschiebungen den Untergang jener Kultur
herbeigeführt hatten. Sie umfaßt den Zeitabschnitt,
in dem sich mit der Umgestaltung aller Verhältnisse
die neue hellenische Staatenbildung vollzogen hat,
die wir mit der Scheidung der Stämme der Dorier,
Achäer, Äolier, Jonier vom achten Jahrhundert ab
im Bereiche der griechischen Halbinsel, der Insein des
ägäischen Meeres und der kleinasiatischen Küste
vollendet finden. Mit ihrer Vollendung beginnt die
griechische Kolonisation, die den phönikischen Handel
aus dem östlichen Mittelmeergebiete verdrängt hat.
In denselben Jahrhunderten hat die homerische
Dichtung ihre uns überlieferte Gestalt erhalten. Aus
den Schilderungen der großen jüngeren Teile, die
damals entstanden und mit den alten, in der künst-
lerischen Ausfüllung den kretisch-mykenischen Bild-
werken entsprechenden Liedern zu einer Einheit
verschmolzen sind, tritt uns das Bild der Zustände
des Lebens entgegen, wie es den jonischen Sängern
vor Augen war. Dieses Bild enthält Züge auch
von den Kunstverhältnissen der Zeit. Von griechischer
Arbeit ist wenig die Rede, und das wenige zeigt
die einheimische Tätigkeit in den Grenzen hand-
werklichen Könnens einfachster Art. Die eigent-
liche Kunstware wird aus der Fremde bezogen, aus
Ägypten, Phönikien, Kypros. Vornehmlich die Er-
zeugnisse phönikischer Werkstätten liehen in hoher
Schälung. Von dort kommen reich verzierte Waffen
und Prunkgeräte, und wenn dem Kostbarsten gött-
licher Ursprung angedichtet wird, wie dem Schild
des Achill und dem Krater des Menelaos, so fehlt
doch bei diesem letzteren nidit ein Hinweis auf die
wirkliche Herkunft: er ist aus Sidon in den Besitj
des Königs gelangt.
Mit den Zeugnissen der Dichtung deckt lieh das
Bild, das die erhaltenen Denkmäler bieten. Sie
zeigen im eigentlichen Griechenland nach dem Unter-
gänge der kretisch-mykenischen Kunst mit dem Neu-
aufkommen des geometrischen Stils ein Anfängen
wieder von vorne mit geringen Mitteln und in
handwerklicher Beschränktheit, im Südosten dagegen
das Fortbestehen eines Kunstschaffens, das hier in

Franz Winter.
dem Urlprungsgebiete der kretisch-mykenischen Kunst
mit dieser bei aller Erstarrung und allem Unter-
liegen unter die nach wie vor und jetjt immer
stärker wirkenden orientalischen und ägyptischen
Einssüße verknüpft bleibt und mit dem nun er-
folgenden Hervortreten der neuen Hauptstätte, die
es in Phönikien findet, noch einmal zu weitreichen-
der allgemeiner Bedeutung lieh erhebt. Während
die griechische Produktion, überwiegend der Keramik
zugewendet, in Technik und Material auf niederer
Stufe bleibt, hat in den Werkstätten des Südostens
die Tradition der kunstfertigen Arbeit in Bronze
und Edelmetall und in anderen hastbaren Stoffen
fortbestanden. Das Erbe Kretas war an Phönikien
übergegangen. Sein Handel beherrschte das Mittel-
meer und gab seinen kunstgewerblichen Erzeug-
nissen weite Verbreitung. Standen die phönikischen
Prunkgeräte und Schmuckstücke in der künstlerischen
Ausführung bei so viel geringerer Eigenart und
dem Mangel an lebendiger Gestaltung der Deko-
ration auch weit zurück hinter dem, was einst die
altkretische Kunst in den Zeiten ihrer Blüte hervor-
gebracht hatte, so fanden sie überall, wohin sie
gelangten, doch nicht weniger hohe Schätjung und
begehrte Aufnahme. Wie sie die Griechen be-
wunderten, sagen uns die homerische Dichtung und
ebenso deutlich Funde an Stellen wie Olympia und
Delphi (S. 106 u. 107). Den stärksten Absatj aber
fanden sie bei den Etruskern (vgl. S. 103ff.) und
hier, wo sie, wie danach der griechische Import, die
einheimische Industrie beeinssußten, wiederholt sich
in der Grabausstattung noch einmal das Bild einer
ähnlichen Pracht, wie sie vordem die ,mykenischen‘
Fürstengräber entfaltet hatten, während in den
griechischen Gräbern der Zeit das billige Tongeschirr
den Hauptinhalt bildet.
Das Fortleben der kretisch-mykenischen Kunstart
ist am deutlidisten an Fundstücken aus Kreta (S. 101)
und an kyprischen Denkmälern (S. 102) wahrnehm-
bar in einem Mischstil, der aus jener manches von
Dekorations- und Darstellungsformen, auch von der
Ausdrucksweise wie in Nachklängen bewahrt und
mit orientalischen Elementen vereinigt zeigt. Der
orientalische Einssuß läßt sich weiter nordwärts bis
nach Rhodos und der kleinasiatisch-ionischen Küste
verfolgen, wo er in den Votivfunden vom alten
Artemision von Ephesos hervortritt (S. 108).
In den phönikischen Denkmälern äußert er sich
am stärksten. In nächster Berührung mit der syrisch-
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