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Schäfer, Heinrich; Frank, Carl; Winter, Franz
Kunstgeschichte in Bildern: neue Bearbeitung; systematische Darstellung der Entwicklung der bildenden Kunst vom klassischen Altertum bis zur neueren Zeit (1): Altertum — 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.49707#0118
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98

Die Kunst der Homerischen Zeit.

hittitischen Kunst hat sich die phönikische unter den
verschiedensten Einflüßen gebildet. Die Vermisdiung
assyrisiher und ägyptischer Elemente gibt ihr das
Gepräge.
Unter den Resten der phönikischen Kunst ragen
als Hauptstücke die aus weitverstreuten Funden zahl-
reich erhaltenen Bronze- und Silberschalen hervor.
Viele von diesen lind in streifenförmigen Bildern
mit figürlichen Darstellungen verziert. Tierleben
und Landbau (S. 103), Jagd und Krieg (S. 104ff.),
Kulthandlungen (S. 107£), Götter- und Dämonen-
wesen (S. 104f.) sind geschildert. Wirklichkeit und
Leben ist wiedergegeben, aber viel weniger aus
eigener Beobachtung in selbständiger Darstellung,
als in Wiederholung überkommener Typen und
in Nachahmung assyrisiher und ägyptisdier Vor-
bilder. Neben zusammenhängenden Bildern liehen
Kompositionen aus stückweise aneinandergereihten
Szenen und Gruppen. Sie zeigen, wie rein äußer-
lich dekorativ die Darstellung aufgefaßt ist. Sie
unterscheidet lieh im Wesen wenig von der orna-
mentalen Dekoration, die in einzelnen Motiven
Eigenartiges, aber im Ganzen wenig Erfindung auf-
weist und in einer Häufung konzentrischer Figuren-
und Ornamentstreifen in eine der geometrisihen Ver-
zierungsweise lieh annähernde Monotonie verfällt.
An Werken anderer Völker und anderer Zeiten
gemeßen, im Vergleich namentlich zu den Schöpfungen
der vorausgegangenen kretisch-mykenischen Kunst
erscheint der künstlerische Wert dieser phönikischen
Arbeiten gering. Den Griechen der Zeit aber Hellten
sie lieh den eigenen Leistungen gegenüber wie
Wunderdinge dar. Und so konnte diese Kunst
Wirkungen hervorbringen, die in keinem Verhält-
nisse zu dem Händen, was sie selbst bedeutete. Wir
werden von ihr zu einem berühmten Meisterwerke
der griechischen Dichtkunst, der homerischen Be-
schreibung vom Schild des Achill hingeleitet. Nicht,
daß der Dichter einen entsprechenden wirklichen
Schild vor Augen gehabt hätte. In dieser Größe
und Pracht und in diesem Reichtum, in der Aus-
führlichkeit und der beziehungsreichen Anordnung
seines Bildsehmucks hat ihn die dichterische Phantasie
geschaffen. Aber Anregung und Stoff hat der Dichter
aus Darstellungen der Art, wie wir sie auf den er-
haltenen phönikischen Schalen sehen, geschöpft, und
indem er das Dargebotene lebendig ausgestaltete,
erfinderisch weiterführte und in einem großen Zu-
sammenhange vereinigte, erstand sein Werk. Um
ein Nachgehen der in der Auswahl der beschriebenen
Vorgänge im Ganzen wie in gegenständlichen Einzel-
motiven verfolgbaren Beziehungen zu erleichtern,
haben wir das in Betracht kommende Bildmaterial

S. 103ff. den Typen nach möglichst vollständig und
den Gegenständen nach geordnet zusammengestellt.
In Griechenland ist mit dem geometrisihen Stil
die im Norden wurzelnde Dekorationsweise, die hier
schon vor dem Eindringen der von Kreta her über-
tragenen ,mykenischen‘ Kunst heimisch gewesen war,
von neuem zur Geltung gelangt. Die große mittel-
europäisihe Welle, die lieh mit den Wanderungen
über die Halbinsel ergoß und jene Kunst wegspülte,
brachte ihn wieder obenauf. Seine Wesensversihie-
denheit von der kretisch-mykenischen Kunst bekundet
er hauptsächlich in der strengen, nach fester Regel
und Ordnung durchgeführten Gliederung der Deko-
ration gegenüber der dort herrsihenden freien
künstlerisihen Ungebundenheit und in dem Aufgehen
in einer abstrakten Formenwelt von Ornament-
gebilden, die teils aus Linienkombinationen er-
funden, teils aus der Technik abgeleitet, oder, wo
ihnen letzten Endes etwa in der Natur Beobachtetes
zugrunde lag, doch von vornherein nicht als eigent-
liche Wiedergabe des Gesehenen, sondern als formel-
hafte Zeichen beabsichtigt und gestaltet waren. Auch
in der kretisch-mykenischen Kunst hatte gegen Ende
ihres Bestehens'nach und nach eine Wandlung ins
Lineare (vgl. III, S. 68) sich vollzogen. Hier handelte
es sich aber um eine durch lange andauernde Wieder-
holung eingetretene Erstarrung ursprünglich leben-
diger, der Natur nachgebildeter Formen, während
der geometrisihe Stil die Weiterbildung der von
Anfang an linearen Dekoration darstellt, wie sie
auf primitiver Stufe in der neolithischen Kultur ver-
treten ist. In seinem Neuauftreten erschien er nun
in einem gesihlossenen, entwickelten Formensystem,
das so nur das Ergebnis eines langen, für uns nicht
mehr genauer verfolgbaren Ausbildungsprozesses ge-
wesen sein kann. Wir lernen ihn überwiegend aus
Arbeiten der Keramik, also aus den anspruchslosesten,
im billigsten Materiale hergestellten Erzeugnissen des
Kunsthandwerks kennen. Hinter den massenhaft er-
haltenen Tongefäßen (S. 110—114) bleiben neben
ganz vereinzelt vertretenen Stücken aus anderen
Stoffen, wie Gold (S.109,12) und Elfenbein (S. 111,11),
die Arbeiten in Bronze und Eisen, dessen Verwen-
dung in dieser Zeit in Aufnahme kommt, zurück.
Bronzegeräte (S. 109) sind nur von wenigen Stellen,
in größerer Menge nur aus den Votivfunden von
Olympia bekannt. Allen ist die Einfachheit der
technischen Behandlung gemeinsam. Während die
Bronzedekoration über das primitive Ritjverfahren
nicht hinausgekommen ist, hat aber die Vasen-
dekoration das in der kretisch-mykenischen Keramik
ausgebildete Malmittel der dunklen Glasur- oder
Firnisfarbe übernommen und damit aus jener unter-
 
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