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Schäfer, Heinrich; Frank, Carl; Winter, Franz
Kunstgeschichte in Bildern: neue Bearbeitung; systematische Darstellung der Entwicklung der bildenden Kunst vom klassischen Altertum bis zur neueren Zeit (1): Altertum — 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.49707#0426
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RÖMISCHE SKULPTUR
Von Professor Dr. Franz Winter

Der in diesem Heft behandelte Abschnitt der Ge-
schichte der antiken Skulptur umfaßt den Zeit-
raum, in dem Rom nach Gewinnung derWeltherrschaft
dem Leben auf allen Gebieten die entscheidende Prä-
gung gegeben hat. Die Kunst blieb auch fortan über-
wiegend in den Händen der Griechen, wurde aber dem
römischen Willen dienstbar und die römischenMacht-
haber waren es, die die Hauptaufgaben bestimmten
und deren Durchführung im römischen Sinne forderten.
Berührung mit der griechischen Kunst hatte Rom
schon lange vorher gehabt. Sie war ihm in der älteren
Zeit von Etrurien, später von Unteritalien und Sizilien
her zugeführt worden. Die hier ausgebildete west-
oder italisch-hellenistische Kunst hatte, wie in Com-
panien, in Rom Aufnahme gefunden; ihr lind die
Architekturformen entlehnt, in denen die in Rom und
Latium erhaltenen Bauten aus sullanischer Zeit aus-
geführt sind (vgl. Heft V/VI, S. 162); in ihrem
Stil hielt lieh das Kunsthandwerk und von ihr wird
auch die seit altersher in Ober- und Mittelitalien
geübte Malerei nicht unberührt geblieben sein, die
in ihrer Verwendung nicht nur für die Grabausstattung,
sondern namentlich für die nationalen Schaubilder
der Triumphatoren im alten Rom von früh an die
eigentlich volkstümliche Kunst gewesen ist.
So vorbereitet trat Rom nach der Mitte des
zweiten vorchristlichen Jahrhunderts mit der Unter-
werfung Griechenlands und der östlichen Reiche in
die Welt ein, in der lieh ihm die griechische Kunst
des Ostens, die damals lebende und die der langen
reichen Vergangenheit, erschloß, und wurde nun zum
Herren dieser Kunst. In Malten wurde, was trans-
portabel war, herüb er geschafft; das waren Gemälde,
Geräte, hauptsächlich aber Skulpturen, Werke aus
allen Epochen. Den erst durch Raub, dann durch
Kauf erworbenen Schäden folgte sehr bald der Zu-
zug der Bildhauer selbst. Was diese brachten, war
die griechische Kunst auf einer Stufe ihrer Entwick-
lung, auf der das Schaffen nicht mehr wie bis dahin

in gleichmäßig aufsteig endet Linie des Erschließens
der die Natur in dem Reichtum ihres äußeren Er-
scheinens und inneren Lebens erschöpfenden Dar-
stellungsmöglichkeiten lieh bewegte, sondern mit dem
Erworbenen schaltend auf dem überkommenen Erbe
weiterbaute.
Sie hatte, gerade so wie die Kunst des Spätbarock
und des Rokoko, den Weg eingeschlagen, auf dem
sie — nach höchster Steigerung der Wucht der Wie-
dergabe des Innerlichen, wie wir sie in den perga-
menischen Gallierstatuen, und gerade so in Michel-
angelos Werken erreicht sehen— äußerlich wird, von
den ihr überkommenen großen Errungenschaften der
Wiedergabe des inneren Wesens und der äußeren
Erscheinung der Dinge nur diese letztere weiterpllegte,
so daß sie nur mehr für das Auge arbeitete, indem
sie die Natur, die sie darstellte, nicht mehr in die
Tiefe ergründend, sondern nur mehr in dem Bilde
der dem Auge lieh darbietenden Oberssäche ihrer
Formen- und Farbenerscheinung wiedergab. Auch die
bildende Kunst hatte damit die Aufgabe, wie sie
Aristoteles von der Musik und Dichtkunst fordert,
als Erziehungsmittel verloren und wurde, im Sinne
der epikureischen Auffassung, zum Genußmittel. Die
Wendung steht uns in den ergreifenden pergame-
nischen Gallierstatuen vom Attalosmonument und
in dem glänzenden Schaustück des von Attalos’ Nach-
folger Eumenes errichteten Altars von Pergamon
vor Augen (vgl. Heft XI/XII, S. 327), der das an-
tike Spätbarock einleitet.
Auf dieser Bahn war die griechische Kunst, als
sie nach Rom überging. Und sie ist durch die ganze
lange Zeit, durch die sie im Dienste Roms ihre
Schaffenskraft bewahrte, auf dieser Bahn geblieben.
Die ganze Entwicklung, die wir in dieser Zeit ver-
folgen, liegt auf dem Felde der Wiedergabe der
äußeren Erscheinung; viel Neues, Eigenartiges ist ge-
schaffen, aber kein Meister ist mehr erstanden, der
der Kunst, sie wieder verinnerlichend, eine neue Rich-
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