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Schäfer, Heinrich; Frank, Carl; Winter, Franz
Kunstgeschichte in Bildern: neue Bearbeitung; systematische Darstellung der Entwicklung der bildenden Kunst vom klassischen Altertum bis zur neueren Zeit (1): Altertum — 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.49707#0329
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290

Griechische Skulptur des vierten Jahrhunderts.

druck. Die Komposition weist auf die Eirene zu-
rück. Der Formenbildung des Kopfes des Hermes
liegt der Typus zugrunde, dessen Vorstusen in dem
Kopfe des Münchener Salbers und weiter zurück
in dem des myronischen Diskobois (Heft 8/9,
S. 255, 2 und 252, 2. 3) überliefert sind. Ganz
ähnlich schließt das Stellungsmotiv der Figur eine
lange und in zusammenhängender Linie verfolg-
bare Entwicklungsreihe ab. In alledem zeigt das
Werk des Praxiteles weniger neue Erfindung als
vielmehr ein zu letster und feinster Vollendung
gebrachtes Ausgestalten des Überkommenen, ein
Ausgestalten zu reinster Schönheit, an dem lieh der
Künstler, aus der Fülle einer reichen Phantasie
schöpfend, nicht genugtun konnte. Sein Eigenstes
aber gab er in der Behandlung der Formen, in
der er, schöpferisch in der Ausbildung neuer Kunst-
mittel, ein Höchstes erreichte. Die Ausführung der
Hermesstatue geht über die der älteren Werke
durch eine malerische Auffüllung hinaus. In weichen
Übergängen spielen die schwellenden Formen in-
einander und durch eine je- nach der Natur des
Stoffes verschiedenartige Behandlung der Ober-
fläche sind die einzelnen Teile voneinander ab-
gesetjt, gegen den Glanz des nackten Körpers das
Haar körnig, das Gewand stumpf, der als Stütze
dienende Baumstamm mit skizziert gerauhter Fläche
zurückgehalten. Das seinen Absichten gemäße Ma-
terial fand Praxiteles im Marmor. Er hat ihm
durch die künstlerische Behandlung vorher uner-
reichte Wirkungen entlockt und diese Wirkungen
gesteigert durch eine der plastischen Ausführung
entsprechend feine und entsprechend abgestufte far-
bige Tönung. Davon sind an der Hermesstatue nur
sehr geringe Reste erhalten. Wir hören, daß er
für die Werke, die er selbst am höchsten schätjte,
die Hilfe des berühmten Malers Nikias angerufen
habe. Das läßt ermeßen, was ihm die farbige
Zutat bedeutete, und vermuten, daß er einen Haupt-
anteil daran gehabt hat, wenn die ja von alters-
her übliche Bemalung der Marmorskulptur von
einem konventionellen Schmuckmittel zu einem
feinsten und für den Eindruck des plastischen
Werkes wichtigen Kunstmittel erhoben worden ist,
wie wir es in vollster Ausbildung aus der nach-
praxitelischen Kunst durch den sog. Alexandersarko-
phag bezeugt finden (s. die Beilage hinter S. 320.)
Außer dem Hermes von Olympia ist in den
Reliefs der Basis von Mantinea (S. 296, 1—3)
noch ein zweites Originalwerk des Praxiteles er-
halten, das freilich als kleine dekorative Arbeit
an Bedeutung weit hinter jenem zurücksteht. Es
hat seinen Wert vornehmlich darin, daß es uns in

der Darstellung der Musen praxitelische Motive der
Gewandfigur überliefert und damit von der Ktr.st
des Meisters nach einer in den nachweisbaren
statuarischen Denkmälern nicht vertretenen Seite
hin wenigstens andeutend eine Vorstellung gibt.
Die grenzenlose Bewunderung aber, die das Alter-
tum seinem Schaffen zollte, galt der Darstellung
der nackten Gestalt, des männlichen und weiblichen
Körpers. Seine am meisten gefeierten Werke waren
der Eros, der Satyr und vor allem die Aphrodite
in Knidos. Von ihnen besi^en wir die Aphrodite
in gesieberter Nachbildung (S. 295, 3—5). Die in
der Statue des Hermes erreichte Formenvollendung
erscheint kaum einer Steigerung fähig, und doch
muß sie in diesen berühmtesten Werken noch über-
troffen gewesen sein. In sieberen oder nicht um-
strittenen Kopien sind uns auch der der Eidechse
auflauernde jugendliche Apoll (S. 294, 3) und der
ausruhende Satyr (S. 295, 2) erhalten. Von dem
Apoll, der — auch durch die Ausführung in Bronze
von den übrigen Werken verschieden — durch die
einfachere Gestaltung den jugendlichen Künstler zu
verraten scheint, leitet die in Aufbau und Bildung
so viel reichere Statue des Hermes zu dem Satyr
und der Aphrodite hinüber, die uns die Kunst des
Meisters in ihrer vollsten Reife überliefern. Auch
noch eine Anzahl anderer Werke glaubt man auf
Praxiteles zurückführen oder mit seiner Kunst in
nähere Beziehung stellen zu dürfen. Von ihnen
ist eine Auswahl auf S. 294, 296 und namentlich
S. 297 in Abbildungen wiedergegeben.
In anderen Tönen als die auf feinsten und
reichen Wohllaut gestimmte Kunst des Praxiteles
äußert sich das Schaffen der Künstler, aus deren
gemeinsamer Arbeit am Mausoleum von Halikarnaß
gegen die Mitte des viertenjahrhunderts das größte
Werk dekorativer Monumentalskulptur dieser Epoche
hervorgegangen ist. Die beiden, den Jahren nach
älteren unter ihnen, Timotheos von Athen und
Skopas aus Paros, waren schon früher in ähnlichen,
wenn auch weniger umfangreichen Aufgaben tätig
gewesen. Timotheos hatte für den in den ersten
Jahrzehnten nach 400 errichteten Asklepiostempel
von Epidauros den Giebel- und Akroterienschmuck
zum Teil eigenhändig, zum Teil in den Modellen
ausgeführt, von Skopas rührte das um dieselbe
Zeit entstandene Giebel.bildwerk des Athenatempels
von Tegea her.
Timotheos zeigt sich in den vom epidaurischen
Tempel erhaltenen Skulpturen (S. 298, 1—7), die
in der stilistisch eng verwandten Statue der Leda
(S. 298, 8) auch ein Einzelwerk von ihm haben
wiedererkennen laßen, als ein Künstler, dessen Aus-
 
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