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Scheftelowitz, Isidor
Das Schlingen- und Netzmotiv im Glauben und Brauch der Völker — Gießen, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.13441#0020
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10

I. Scheftelowitz

die Liebesleidenschaft nicht durch die Maschen des Gewebes
entweichen kann1. Manche Gottheiten der Hopi-Indianer
haben Schlingen in iher Hand, womit sie denjenigen, der ihnen
keine Opferspeise verabreicht, fesseln2.

Die Eingeborenen auf Tahiti glauben, schwere Krank-
heiten würden dadurch hervorgerufen, daß Dämonen ihr Inneres
zusammengeschnürt hättens. Auf den Danger-Inseln herrscht
die Vorstellung, daß der Totengott Vaerua die Seelen der
Sterbenden mit einer Schlinge fange und sie in das Schatten-
reich entführe. Sobald jemand schwer krank wird, wird von
dem Baume aus, der die Hütte des Kranken überschattet,
eine Schlinge herabgehängt. Wenn nun ein Insekt oder ein
kleiner Vogel durch die Schlinge fliegt, so glaubt man, daß
die Seele in der Gestalt eines Insekts oder Vogels in der
Schlinge gefangen sei und bald vom Seelengott fortgeschleppt
werde*. In Australien wird neben den Sterbenden eine
Schnur gelegt. Wenn er den letzten Atemzug ausgehaucht
hat, wird sie ihm zwei- oder dreimal um den Hals gewickelt.
Das ist der Strick des Todes, mittels deren er ins Jenseits
gezogen wird5.

Auf solche mythologischen Vorstellungen gehen im letzten
Grunde auch einzelne symbolische Bilder des Alten Testaments
zurück. Die Metapher hebele-mäwet oder möqese mäwet „Stricke
des Todes", „Schlinge des Todes"0 ist das unvergängliche
Spiegelbild einer mythischen Denkweise, die bestehen geblieben
ist, nachdem ihr eigentlicher Sinn gänzlich geschwunden ist.
Ebenso ist die heidnische Idee von dem Netze der Gottheit in
der monotheistischen Religion des Alten Testaments-zu einem

1 7"' Annual Report of the Bureau of Americ. Ethngl., Washington
1891 p. 340, 342, 344, 383. Nach dem Glauben der Indianer wickelt sich
der Krankheitsdämon gleich einem Wurm um die kranke Stelle. Der Me-
dizinmann, der den Krankheitsdämon beschwört, ruft die Hilfe der gött-
lichen Himmelsspinne an, daß sie mit ihren Fäden den Dämon fange (aaO. 357 f.),

2 21"' Ann. Bep. of the Bureau of Americ. Ethn. 1903 p. 74 und PI. XI.

3 W. Ellis Polynesian researches I 363.

4 W. Wyatt Gill Life in the Southern Meß, London 1876, 181 f.

5 Frobenius, Weltanschauung 1898, 167.

0 2. Sam. 22, 6; Ps. 18, 5 f.; 116, 3; Misle 13, 14; 14, 27.
 
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