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das Organ der Religion, nnd die Notwendigkeit, dem Un-
endlichen eine sinnbildliche, so viel möglich individualisirende
Darstellung zu geben, verkannt. Da es sich nun in allen
Religionen eräugnet, daß der innere Gottesdienst über den
äußern Cärimonien, die als Zeichen desselben ursprünglich s
eingesetzt waren, gänzlich verlohren geht, daß die Hülle für
das Wesen genommen wird, so hat die Aufklärung in ihrer
Polemik hiegegen gewissermaßen Recht. Wer heißt sie aber
die Idee, welche einem Gottesdienste zum Grunde liegt, nicht
besser fassen, als seine grobsinnlichen Bekenner? Um s56»f ihren m
Namen zu verdienen, sollte sie vielmehr das gleichsam ver-
steinerte und entseelte Symbol wieder zu beseelen wissen.
Aber sie will eine pur vernünftige Religion, ohne Mytho-
logie, ohne Bilder und Zeichen, und ohne Gebräuche. Man
sieht leicht ein, daß dieß tödlich für die Poesie ist, welche is
einzig auf dieser Seite ihre Berührungspunkte mit der Religion
hat. So wird auch gegen den Anthropomorphismus geeifert,
und die Bibel die von einem Ende bis zum andern Gott
unter menschlichen Bildern darstellt, kommt dabey freylich
schlecht weg. Sobald der Mensch sich aber in eine persön- 20
liche Beziehung mit der Gottheit setzt, so kann er gar nicht
aus dieser Vorstellungsart heraus, und es wird im Hinter-
gründe seines Gemüths, bewußter oder unbewußter Weise,
eine menschliche Bildung schweben. Was liegt denn auch
hierin so unwürdiges und verkleinerndes? Allerdings, wenn 25
wir den Körper bloß irdisch betrachten, als ein Werkzeug
sinnlicher Bedürfnisse und Genüsse. Mit geistigeren Blicken
angesehen ist er eine Allegorie auf das Weltgebäude, ein
Spiegel und Abbild des Universums, was die Astrologen so
sckwn durch das magische Wort Mikrokosmus bezeichnet haben; so
betrachtet man nun die. Natur hinwiederum als den Leib
Gottes, so bekömmt der Anthropomorphismus eine ganz andre
Gestalt, und eine Bedeutung, die weit über den Horizont der
gewöhnlichen Aufklärung hinausgeht. — s56bs Endlich ge-
hört zur aufgeklärten Theologie, bey einer Religion, die ein ss
historisches Fundament hat wie die christliche, die aufgeklärte
Ansicht der Geschichte, d. h. die Annahme daß ehemalige
das Organ der Religion, nnd die Notwendigkeit, dem Un-
endlichen eine sinnbildliche, so viel möglich individualisirende
Darstellung zu geben, verkannt. Da es sich nun in allen
Religionen eräugnet, daß der innere Gottesdienst über den
äußern Cärimonien, die als Zeichen desselben ursprünglich s
eingesetzt waren, gänzlich verlohren geht, daß die Hülle für
das Wesen genommen wird, so hat die Aufklärung in ihrer
Polemik hiegegen gewissermaßen Recht. Wer heißt sie aber
die Idee, welche einem Gottesdienste zum Grunde liegt, nicht
besser fassen, als seine grobsinnlichen Bekenner? Um s56»f ihren m
Namen zu verdienen, sollte sie vielmehr das gleichsam ver-
steinerte und entseelte Symbol wieder zu beseelen wissen.
Aber sie will eine pur vernünftige Religion, ohne Mytho-
logie, ohne Bilder und Zeichen, und ohne Gebräuche. Man
sieht leicht ein, daß dieß tödlich für die Poesie ist, welche is
einzig auf dieser Seite ihre Berührungspunkte mit der Religion
hat. So wird auch gegen den Anthropomorphismus geeifert,
und die Bibel die von einem Ende bis zum andern Gott
unter menschlichen Bildern darstellt, kommt dabey freylich
schlecht weg. Sobald der Mensch sich aber in eine persön- 20
liche Beziehung mit der Gottheit setzt, so kann er gar nicht
aus dieser Vorstellungsart heraus, und es wird im Hinter-
gründe seines Gemüths, bewußter oder unbewußter Weise,
eine menschliche Bildung schweben. Was liegt denn auch
hierin so unwürdiges und verkleinerndes? Allerdings, wenn 25
wir den Körper bloß irdisch betrachten, als ein Werkzeug
sinnlicher Bedürfnisse und Genüsse. Mit geistigeren Blicken
angesehen ist er eine Allegorie auf das Weltgebäude, ein
Spiegel und Abbild des Universums, was die Astrologen so
sckwn durch das magische Wort Mikrokosmus bezeichnet haben; so
betrachtet man nun die. Natur hinwiederum als den Leib
Gottes, so bekömmt der Anthropomorphismus eine ganz andre
Gestalt, und eine Bedeutung, die weit über den Horizont der
gewöhnlichen Aufklärung hinausgeht. — s56bs Endlich ge-
hört zur aufgeklärten Theologie, bey einer Religion, die ein ss
historisches Fundament hat wie die christliche, die aufgeklärte
Ansicht der Geschichte, d. h. die Annahme daß ehemalige