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Schleicher, August
Die deutsche Sprache — Stuttgart: J. G. Cotta'scher Verlag, 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.61330#0115
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Mittelhochdeutsch.

lM
hochdeutsche Sprache eben durch jeueu Verlust der vollen Vocale der
Endsilben erst recht geeignet ward, die höchste Feinheit und Regel-
sestigkeit des Versbaues zu erreichen. Unterschiede der Mundarten
sind durch die Abschwächung des Auslautes, die nunmehr einem
allgemeinen Gesetze der Sprachengeschichte gemäß eingetreten war,
keineswegs ausgeschlossen, und man hat demnach auch ebenso gut
mittelhochdeutsche Mundarten, wie althochdeutsche in dell Denk-
mälern zu unterscheiden. Aber bald gelangte nunmehr eine Mund-
art zu allgemeinerer Geltung als Sprache der Litteratur und des
höheren Umganges, wie er an den Hösen gepflogen ward: es bildete
sich eine höfische Sprache aus, die auch von denen gebraucht
ward, deren heimatliche Mundart sie nicht war. Die Litteratur
ist aus den Händen der Geistlichen, die sie im althochdeutschen Zeit-
räume inne hatten, in die der Edeln übergegangen; die höfische
Mundart ward so zugleich die der Litteratur. Diese Mundart ist
die schwäbische. Sie, die schwäbische, höfische Mundart ist das
Mittelhochdeutsch im engeren Sinne, die Sprache der höchsten Er-
zeugnisse der reichen, classischen Litteratur des dreizehnten Jahr-
hunderts, die Sprache, in welcher sowohl die nunmehr neugeborene
volksthümliche Heldendichtung, als auch die fremden Vorbildern
folgende höfische Epik, die Lyrik, kurz fast die gesammte Dichtung
jener fruchtbaren Periode niedergelegt ist. Diese Sprache werden
wir daher später ausschließlich ins Auge fassen.
Während also im Althochdeutschen nur Dialekte vorhanden waren,
hat das Mittelhochdeutsche bereits einen derselben über die anderen
gestellt; es hat eine höhere Sprache, eine Hofsprache entwickelt. Für
die Literaturgeschichte ist dieser Punkt von gröster Bedeutung; doch
lassen wir dieß, wie alles was die Litteratur, nicht die Sprache
betrifft, hier bei Seite; nur bei der Besprechung des Althochdeut-
schen erlaubten wir uns einen Seitenblick in die Litteratur, weil eben
über das althochdeutsche Schriftthum und seine eigenthümlichen Ver-
hältnisse in der Regel keine klare Anschauung vorhanden ist. Ueber
die große Litteratur des Mittelhochdeutschen ist aber das allgemeinste —
und nur dieß könnten wir ja hier geben — jedem Gebildeten bekannt.
Die Neigung zu dem Fremden, die so stark in der mittelhoch-
deutschen Dichtung hervortritt, hatte die Aufnahme einer ziemlich
bedeutenden Anzahl romanischer (französischer) Worte zur Folge;
bekauntlich trat diese Neigung in einer späteren Periode nochmals
 
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