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Schön, Erhard
Unterweisung der Proportion und Stellung der Possen; Nürnberg 1542 — Frankfurt am Main, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.20660#0010
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Die gerade Linie und der Kreis waren nicht nur das, was der Kunstschüler
als erstes zu zeichnen lernte, sondern unter ihrer Zuhilfenahme konnte der
Kunstlehrer auch am leichtesten die Grundsätze der Perspektive und Pro*
portionslehre demonstrieren: Drei*, Vierecke und andere Vielecke ließen sich
mit Maßzahlen versehen, die als Unterlage für geometrische Merkformen
dienten. Man konnte sie leicht nachmessen und nachbilden, und sie gaben auf
diese Weise dem übenden Jungen dieGrundlage für die Darstellung der mannig*
faltigen Formen, wie sie in der Natur erscheinen. Was die geometrische Hilfs*
konstruktion für den Maler war, das wurden für den Bildhauer plastische
Proportionsmodelle, Gliederpuppen aus Holz, Gips, Ton oder Wachs4), die
auch für die Anfänger zunächst mit geradlinigen Körperteilen hergestellt wur*
den, um ihnen das Nachmessen und Nachbilden zu erleichtern. Nahe lag es
nun, daß sich auch die Maler eben jener plastischen Modelle bedienten. Das
Abzeichnen kubischer und polyedrischer Körper war vorzüglich geeignet, dem
Schüler die Kenntnisse der Belichtungslehre beizubringen, die richtige Vertei*
lung von Lichtern, Schatten und Halbschatten, außerdem aber auch zum Er*
lernen der W'edergabe verkürzter Gegenstände, wozu man gerne, um' die
Verkürzung dem Schüler noch anschaulicher darzustellen, die Gliederpuppen
auf einen quadrierten Estrich legte, wie wir das auf Blatt C 2 ff unserer Fak*
simile*Reproduktion sehen.

Daß sich die italienischen Maler des 15. Jahrhunderts derartiger Puppen mit
geradlinigen Körperumrissen bedienten, beweisen erhaltene Zeichnungen, in
denen die Oberfläche der in der Natur runden Körper in einzelne ebene Flä*
chen zerlegt ist, Zeichnungen, wie wir sie in dem Budapester Architektur*
buch finden, das wahrscheinlich Kopien nach Originalen Mantegna's enthält
(siehe Tafel II, 1>5>. Von Mantegna hat wohl Dürer diese Art des Zeich-
nens übernommen. In seinen gedruckten Proportionsbüchern findet sich zwar
kaum etwas Kubistisches, wohl aber enthält sein Skizzenbuch, das jetzt
in der öffentlichen Bibliothek zu Dresden aufbewahrt wird, zahlreiche Dar*
Stellungen dieser Art6). Vergleicht man die beiden auf unserer Tafel II abge*
bildeten Zeichnungen miteinander, so sieht man, wie Dürer die von den Ita*
 
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