Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Schön, Erhard
Unterweisung der Proportion und Stellung der Possen; Nürnberg 1542 — Frankfurt am Main, 1920

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.20660#0009
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Seitdem vor etwa 15 Jahren Pablo Picasso und Georges Braque »den Ku>
bismus entdeckt haben«, war fast allgemein die Anschauung verbreitet, daß
»so etwas noch nie dagewesen sei«, und daß diese neue Form des Künste
Schaffens nur möglich sei und erklärbar als Spiegelbild der modernen Seele,
als Ausdruck des modernen Geistes. »Kein Zweifel«, sagt Ivan Göll in einem
Aufsatz über Kubismus1), »daß wir neuem Glauben uns nähern, starkes
Ozon trinken des modernen Lebens, Obwohl wir den Namen jenes Gottes
noch nicht kennen, empfinden wir schon die Wirkung manches seiner Attri«
bute: Bewegung, geometrisches Denken, Lichtreinheit.« Und trotzdem —
die Anfänge eben dieses Kubismus, mit seinem »geometrischen Denken und
seiner Lichtreinheit«, lassen sich bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgen, und
wir müssen wieder einmal Ben Akiba recht geben. Freilich, mit einer Ein*
schränkung: Noch nie vorher hat man Kunstwerke, in denen die Welt der
Erscheinungen in ihre stereometrischen Grundformen zurückgeführt wurde,
als etwas Fertiges, Endgiltiges angesehen. Die früheren kubistischen Versuche
waren Hilfskonstruktionen, bestimmt, dem heranwachsenden Kunstlehrling
das Eindringen in die Geheimnisse künstlerischen Schaffens zu erleichtern.
Dieser Kubismus war das primäre, die Vorstufe zum naturalistisch vollen*
deten Kunstwerk. Im Gegensatz dazu ist der moderne Kübismus das sekun*
däre,,die Zerlegung der naturalistischen Außenwelt in ihre geometrischen,
kubischen oder polyedrischen Grundformen. In diesem Sinne sagt Göll <Kunst*
blatt 1920, S. 220): »Daher auf kubistischen Bildern die Zerlegung jedes Dings
in seine wesentlichen Bestandteile, in die notwendigen, sichtbaren oder ver*
deckten Formen, in denen es lebt,«

Meder gibt uns in seinem Budi »Die Handzeichnung«2), das einen wahren
Schatz wertvoller neuer Einblicke in die Künstlerwerkstätten vergangener
Jahrhunderte in sich birgt, auch über jene merkwürdigen kubistischen Versuche
früherer Zeiten interessante Aufschlüsse, Bestrebungen, die künstlerischen
Darstellungsobjekte in ihre planimetrischen Grundformen zu zerlegen, sind
wohl so alt wie die Proportionslehre überhaupt, sie gehen auf Vitruv zurück
und finden sich auch bereits im 13. Jahrhundert bei Villard de Honnecourt3).
 
Annotationen