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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0020
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XIV

Bezügliche enthaltene Stoff, den die Wissenschaft und die Forschung
zusammen trug, ist uns bereits hoch über den Kopf gewachsen, so dass
es inmitten dieses Reichthums schwer ist sich zu orientiren und Rich-
tung zu halten.
Um letzteres zu erleichtern wurde der überreiche Stoff in viele Fächer
getheilt und aus jeder Rubrik eine abgeschlossene Lehre gebildet.
Da gibt es, der vielen hülfswissenschaftlichen Werke nicht zu ge-
denken, eine erdrückende Masse von Kunstästhetiken und Geschichten der
Kunst; die Fülle der Spezialitäten über einzelne Vorwürfe und Aufgaben
der Künste, namentlich der Baukunst ist unübersehbar. Wir Deutschen
sind unerschöpfliche Producenten solcher „bürgerlichen Baukunden/“ „Land-
baukunden, “„Kirchenbaukunden,“ Anweisungen über Holzarchitektur, über
Ziegelbau, Quaderbau etc. etc. — Wogegen die Engländer und die Fran-
zosen sich mehr mit der eigentlichen Technik der Künste mit Erfolg
beschäftigten.
Diese Werke enthalten unentbehrliche Schätze des Wissens und der
Erfahrung, allein das mehr trennende als verknüpfende und vergleichende
Princip dieser Spaltung des Stoffs in eine Menge von Wissenschaften
und Lehren, deren Kenntniss von dem gebildeten Künstler unserer Zeit
verlangt wird, trägt nur dazu bei unsere moderne Kunstzerfahrenheit
noch zu vermehren, oder vielmehr diese Vielseitigkeit bildet eins von
den Symptomen jener höheren Nothwendigkeit die über uns und unser
künstlerisches Streben verhängt ist.
Dem Gesagten entsprechend, sieht man um bei der Baukunst zu
bleiben, diese alle möglichen Richtungen einschlagen, unter denen sich
3 Hauptschulen hervorthun, die den 3 Formen, worunter sich die Wis-
senschaften mit der Kunst beschäftigen, entsprechen; nämlich:
a) Die Materiellen, unter dem Einfluss der Naturwissenschaften und
der Mathematik.
b) Die Historiker, unter dem Einfluss der Kunstgeschichte und der
antiquarischen Forschung.
c) Die Schematiker, Puristen etc. unter dem Einfluss der spekula-
tiven Philosophie.
Die Materiellen.
Wohl am mächtigsten haben diejenigen Lehren auf unsre Kunstzu-
stände eingewirkt, welche Anweisung geben den Stoff zu baulichen und
struktiven Zwecken zu bewältigen.
Sie entsprechen der allgemeinen praktischen Richtung unserer Zeit
und werden unterstützt und getragen durch die grossartigen Bauunter-
nehmungen die besonders das Eisenbahnwesen veranlasste. Sie trifft
im Allgemeinen der Vorwurf die Idee zu sehr an den Stoff geschmiedet
 
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