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Drittes Hauptstück.
Bemühen, auf die Verbesserung des Geschmackes und die Ver-
breitung eines feineren Schönheitsgefühles im Volke durch eisernes
Bestehen auf dem nackten Gesetze und stetes Zurückweisen auf
die Inkunablen jeglicher Kunst hinzuwirken. Allerdings sind diese
höchst beachtenswerthe Vorbilder, die der Unterricht in der prak-
tischen Schönheitslehre zur Erläuterung seiner Elementarsätze gar
nicht entbehren kann, wegen der Deutlichkeit und Schärfe, womit
das formelle Gesetz noch fast unabhängig von menschlicher Will-
kür und gleichsam in seiner Naturnothwendigkeit an ihnen hervor-
tritt — aber wir sollen nicht vergessen, dass zwischen ihnen und
uns ein weiter Raum kulturgeschichtlicher Entwicklung liegt, dass
unsere Kunst die Traditionen dieser langen Uebergangszeit zwischen
den Anfängen der Kultur bis zu uns in sich aufgenommen hat und
nicht verleugnen kann, selbst wo sie dieses mit antiquarischem
Mandarineneifer erstrebt, dass die Gegenwart ihr Recht hat, der
auf dem Gebiete der Technik fast keine Schranken des Voll-
bringens mehr entgegenstehen, wodurch nothwendig eine Menge
von Stilerfordernissen, besonders diejenigen, welche aus der tech-
nischen Behandlung des Stoffes hervorgehen, beseitigt werden, dass
endlich mit kurzen Worten ein sehr liberaler Stilcodex, ein solcher,
der sich darauf beschränkt, die äussersten Grenzen des Erlaubten
zu bezeichnen rind eine Logik des freien Waltens zu geben, der
einzige sein könne, der sich eines Einflusses auf die Verbesserung
unseres Geschmackes und die Verbreitung einer kunstsinnigeren
Richtung im Volke zu gewärtigen habe.
Wie grosse Vorsicht in dieser Beziehung nothwendig sei, be-
weist jene berüchtigte „Chamber of horrors“ in dem Marlborough-
house zu London, in welcher alle möglichen Beispiele industrieller
Versündigungen gegen etwas zu streng und einseitig aufgefasste
Stilgesetze vereinigt und gleichsam an den Pranger gestellt waren,
so dass jeder Besucher des Museums für praktische Kunst und
Wissenschaft (The museuni for practical art and Science) sie gleich
beim Eintritte sehen musste. Die beabsichtigte Wirkung wurde
ganz verfehlt, denn selbst der Unbetheiligte fühlte sich nicht selten
gereizt, die Gesetze und ihre etwas eigenmächtige Applikation, die
vor ihrer von der öffentlichen Meinung erfolgten Sanktionirung
stattgefunden hatte, einer strengen Kritik zu unterwerfen, dagegen
die blossgestellten Leistungen in Schutz zu nehmen; die Getrof-
fenen aber wurden durch diesen öffentlichen Tadel zu erbitterten
Drittes Hauptstück.
Bemühen, auf die Verbesserung des Geschmackes und die Ver-
breitung eines feineren Schönheitsgefühles im Volke durch eisernes
Bestehen auf dem nackten Gesetze und stetes Zurückweisen auf
die Inkunablen jeglicher Kunst hinzuwirken. Allerdings sind diese
höchst beachtenswerthe Vorbilder, die der Unterricht in der prak-
tischen Schönheitslehre zur Erläuterung seiner Elementarsätze gar
nicht entbehren kann, wegen der Deutlichkeit und Schärfe, womit
das formelle Gesetz noch fast unabhängig von menschlicher Will-
kür und gleichsam in seiner Naturnothwendigkeit an ihnen hervor-
tritt — aber wir sollen nicht vergessen, dass zwischen ihnen und
uns ein weiter Raum kulturgeschichtlicher Entwicklung liegt, dass
unsere Kunst die Traditionen dieser langen Uebergangszeit zwischen
den Anfängen der Kultur bis zu uns in sich aufgenommen hat und
nicht verleugnen kann, selbst wo sie dieses mit antiquarischem
Mandarineneifer erstrebt, dass die Gegenwart ihr Recht hat, der
auf dem Gebiete der Technik fast keine Schranken des Voll-
bringens mehr entgegenstehen, wodurch nothwendig eine Menge
von Stilerfordernissen, besonders diejenigen, welche aus der tech-
nischen Behandlung des Stoffes hervorgehen, beseitigt werden, dass
endlich mit kurzen Worten ein sehr liberaler Stilcodex, ein solcher,
der sich darauf beschränkt, die äussersten Grenzen des Erlaubten
zu bezeichnen rind eine Logik des freien Waltens zu geben, der
einzige sein könne, der sich eines Einflusses auf die Verbesserung
unseres Geschmackes und die Verbreitung einer kunstsinnigeren
Richtung im Volke zu gewärtigen habe.
Wie grosse Vorsicht in dieser Beziehung nothwendig sei, be-
weist jene berüchtigte „Chamber of horrors“ in dem Marlborough-
house zu London, in welcher alle möglichen Beispiele industrieller
Versündigungen gegen etwas zu streng und einseitig aufgefasste
Stilgesetze vereinigt und gleichsam an den Pranger gestellt waren,
so dass jeder Besucher des Museums für praktische Kunst und
Wissenschaft (The museuni for practical art and Science) sie gleich
beim Eintritte sehen musste. Die beabsichtigte Wirkung wurde
ganz verfehlt, denn selbst der Unbetheiligte fühlte sich nicht selten
gereizt, die Gesetze und ihre etwas eigenmächtige Applikation, die
vor ihrer von der öffentlichen Meinung erfolgten Sanktionirung
stattgefunden hatte, einer strengen Kritik zu unterwerfen, dagegen
die blossgestellten Leistungen in Schutz zu nehmen; die Getrof-
fenen aber wurden durch diesen öffentlichen Tadel zu erbitterten