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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0095
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Textile Kunst. Die Decke.

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Feinden der gewiss vortrefflichen Anstalt, die durch diesen Akt
ihren ohnediess nicht tief gewurzelten Einfluss auf das industrielle
England gleich bei dem Beginne ihres Wirkens in etwas kompro-
mittirte, welches ihre einsichtsvollen Leiter sehr bald gewahr wur-
den, so dass schon im ersten Jahre nach der Eröffnung des
Museums die Chamber of horrors verschwand.
Im Allgemeinen gilt bei der Anwendung vegetabilischer Or-
namente dasselbe Gesetz, worauf in dem Obigen und bereits
schon öfter hingewiesen worden ist; sie sollen die Fläche nicht
ungangbar machen und in ihr verschmelzen, sie sollen ferner
sich der allgemeinen räumlichen Disposition der Decke, deren Ge-
setzlichkeit weiter oben besprochen worden ist, anschmiegen und
dahin wirken, dass dieses Gesetz nach Umständen entweder deut-
licher hervortrete, als ohne sie geschehen würde, oder in seiner
Starrheit gemildert erscheine, sie sollen in der Regel die verbin-
denden Mittelglieder, die mechanisch funktionirenden Theile der
Komposition sein, die andere in dieser Beziehung passive Theile
derselben gleichsam einfassen und verketten, und müssen daher,
nach einem Stilgesetze, das bereits in der Vorrede besprochen
worden ist, wo sie sich auf solche Weise geltend machen, in chi-
märisch grottesker konventioneller Auffassung (als Arabeske) be-
handelt werden ; sie sollen ferner aus der Technik natürlich her-
vorgehen und ihrem Gesetze entsprechen, die bei der Verkörperung
der Komposition in Anwendung kam. In dieser letzteren Beziehung
ist dabei freilich dem gegenwärtigen Standpunkte der Technik
Rechnung zu tragen und es wäre meines Erachtens zu weit ge-
gangen, wollte man z. B. die Muster der Irokesen oder diejenigen,
die aus der kunstfertigen Hand der arabischen Weberinnen her-
vorgingen, in ihrer konventionellen, technisch stilistischen Strenge
für unsere Gobelins und Kunstwebereien maassgebend machen.
Sie müssen endlich in ihren Grössenverhältnissen und in der In-
tensität ihres Farbenspieles zweierlei Grenzen innehalten, nämlich
hierin erstens das Naturgesetz nicht zu auffällig verletzen (welches
geschieht, wenn z. B. Stiefmütterchen so gross sind wie Bauer-
rosen und Centifolien auf das Maass eines Vergissmeinnicht zu-
sammenschrumpfen) , und zweitens den Proportionen der Kompo-
sition und des bedeckten Raumes gerecht sein.
Wo Blumen und sonstiges vegetabilisches Gebilde nach dem
Gesetz der gleichmässigen Vertheilung selbständige Muster einer
 
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