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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0187
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Textile Kunst. Stoffe. Wolle.

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Doch fehlt es auch nicht an gemusterten Baumwollengeweben,
wie z. B. die gerippten Dimitis und die gesteppten und quarrir-
ten Piques, Pillows, Thiksets u. s. w. Der Stil dieser Stoffe be-
ruht auf einem Prinzipe, wonach sie gleichsam matratzenartig
gesteppt erscheinen, mit Vertiefungen auf der Oberfläche, die
dem Stoffe das Ansehen bedeutender Dicke, Derbheit und Wärme
geben. Zu grosse Muster, sehr breite Streifen und weite Quar-
res würden ihren Zweck verfehlen und stillos sein. Dagegen
sind eingewebte kleine Müschen in weiten Zwischenräumen auf
den glatten Grund eines feinen Baumwollengewebes vertheilt, so
dass ein leichtes regelmässiges Muster entsteht, ganz dem Stile
dieser Industrie angemessen. Als älteste Vorbilder dieser Arten
Stoffe sind die sehr alten Schleier zu nennen, die sich noch hie
und da in den Reliquiarien finden. Ein sehr zierliches Bei-
spiel davon gibt Willemin, nämlich den angeblichen Schleier
der hl. Jungfrau von Chartres. (Siehe unter Seide.)
Andere Stoffe aus Baumwolle ahmen die haarigen Oberflächen
der Wollenzeuge oder das künstliche Flies des Seidensammtes
nach, theils glatt, theils gemustert; dergleichen sind die Velvetins
und Velverets. Sie haben ihren eigenen Charakter, der sie von
den ächten Wollen- und Seidenstoffen, denen sie nachgebildet
sind, unterscheidet. Früher hob man diesen Unterschied frei-
müthig hervor, und sah sich nur wegen der Wärme und Dauer-
haftigkeit dieses billigen Stoffes zu dessen Verfertigung veranlasst,
(die alten Manchesterstoffe, die der englische Arbeiter noch immer
ganz besonders liebt, haben in ihrer Derbheit und cigenthümlichen
bräunlich unbestimmten Färbung einen entschiedenen und anspre-
chenden Typus), jetzt hat sich die Stillosigkeit auch hier eingeschli-
chen, — man sieht nur noch Baumwollensammte, die den Seiden-
sammt ersetzen und über das billigere Ersatzmittel täuschen sollen.

§. 39.
Wolle; — Qualitäten dieses Faserstoffes und zweckmässige Verwendung.
Die Wolle, ohne Zweifel der schönste Faserstoff, selbst die
Seide nicht ausgenommen, ist auch derjenige, dessen Stil der
reichste und satteste ist. Das feine gekräuselte Haar der Schaafe
gibt ein weiches lockeres Gewebe, das als schlechtester Wärme-
Semper. j g
 
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