Textile Kunst. Stoffe. Seide.
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wendung so schwerer Stoffe, die jenen liturgischen Gewändern der
Priesterschaft besondere Würde verliehen. Vielleicht kam man
auch übergänglich zu der Erfindung des Sammtscherens, indem
das Mustern der älteren plüschartigen Zeuge , aus deren lang-
haarigem Fliese man Ornamente ausschnitt, dahin führte, sie
gänzlich zu scheren.
Die grüne Farbe scheint dabei die beliebteste gewesen zu
sein und wirklich ist sie diejenige, welche die Natur am häufig-
sten ihren Sammtgebilden, dem Grase, den Blättern und Früchten
gewisser Pflanzen, freilich neben vielen anderen Farben, wie
Braunroth, Quittengelb, Purpur, Pflaumenblau zutheilt; man wird
an allen diesen Naturvelouren eine eigenthümliche Farbenmi-
schung wahrnehmen, die sorgfältig studirt und von dem denken-
den Manufakturisten nicht minder als von dem Maler beherzigt
werden muss. Vorzüglich wichtig ist die Beobachtung wie die
Natur • mit ihren velutirten Oberflächen andere atlasschillern.de,
nach ganz entgegengesetztem Prinzipe kolorirte Erscheinungen in
Kontrast setzt. Wie auf dem Sammtteppiche des frischen Käsen
die Atlasblumen des Frühlings sich abheben, so darf das Grün
die Hauptfarbe des meistens zum Grunde einer reichen Stickerei
oder eines glänzenderen Seidenstoffs dienenden Sammtes bilden.
Was dem Sammte seine ihm eigenthümliche Pracht verleiht,
ist, neben der Fülle und Grösse seines gerundeten Faltenwurfs,
die durch letztem hervorgebrachte gleichzeitige Wirkung des
atlasartigen Schillers der seitwärts betrachteten Theile, neben der
tiefsatten aber glanzlosen Farbengluth derjenigen Parthieen, auf
welche der Blick vertikal gerichtet ist. 1
Dem grösseren und runderen Faltenwürfe soll und muss ein
Prinzip der Ornamentation entsprechen, das von dem bei andren
Stoffen gültigen durchaus verschieden ist, und dieses Prinzip muss
zugleich die obenbeschriebene Beschaffenheit der Oberfläche be-
1 Eben diese Eigenschaften gestatten bei Sammt die Anwendung dunkelster
Farben, denn es bilden sich immer Parthieen auf der Oberfläche, die das
Dunkel der Lokalfarbe noch bei weitem übersteigen und sie relativ hell oder
farbig erscheinen lassen. Diese Tiefe die der Sammt gestattet, soll man be-
nützen. Mir hat heller, wohl gar weisser Sammt immer einen krankhaften
Eindruck gemacht, als sähe ich weisse Neger oder Kakerlaken. Doch kommt
hierbei vieles auf dasjenige an, was mitwirkend den Effekt bestimmt. Eine
jede Dissonanz kann an gehöriger Stelle und gehörig aufgelöst ein Meister-
griff sein.
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wendung so schwerer Stoffe, die jenen liturgischen Gewändern der
Priesterschaft besondere Würde verliehen. Vielleicht kam man
auch übergänglich zu der Erfindung des Sammtscherens, indem
das Mustern der älteren plüschartigen Zeuge , aus deren lang-
haarigem Fliese man Ornamente ausschnitt, dahin führte, sie
gänzlich zu scheren.
Die grüne Farbe scheint dabei die beliebteste gewesen zu
sein und wirklich ist sie diejenige, welche die Natur am häufig-
sten ihren Sammtgebilden, dem Grase, den Blättern und Früchten
gewisser Pflanzen, freilich neben vielen anderen Farben, wie
Braunroth, Quittengelb, Purpur, Pflaumenblau zutheilt; man wird
an allen diesen Naturvelouren eine eigenthümliche Farbenmi-
schung wahrnehmen, die sorgfältig studirt und von dem denken-
den Manufakturisten nicht minder als von dem Maler beherzigt
werden muss. Vorzüglich wichtig ist die Beobachtung wie die
Natur • mit ihren velutirten Oberflächen andere atlasschillern.de,
nach ganz entgegengesetztem Prinzipe kolorirte Erscheinungen in
Kontrast setzt. Wie auf dem Sammtteppiche des frischen Käsen
die Atlasblumen des Frühlings sich abheben, so darf das Grün
die Hauptfarbe des meistens zum Grunde einer reichen Stickerei
oder eines glänzenderen Seidenstoffs dienenden Sammtes bilden.
Was dem Sammte seine ihm eigenthümliche Pracht verleiht,
ist, neben der Fülle und Grösse seines gerundeten Faltenwurfs,
die durch letztem hervorgebrachte gleichzeitige Wirkung des
atlasartigen Schillers der seitwärts betrachteten Theile, neben der
tiefsatten aber glanzlosen Farbengluth derjenigen Parthieen, auf
welche der Blick vertikal gerichtet ist. 1
Dem grösseren und runderen Faltenwürfe soll und muss ein
Prinzip der Ornamentation entsprechen, das von dem bei andren
Stoffen gültigen durchaus verschieden ist, und dieses Prinzip muss
zugleich die obenbeschriebene Beschaffenheit der Oberfläche be-
1 Eben diese Eigenschaften gestatten bei Sammt die Anwendung dunkelster
Farben, denn es bilden sich immer Parthieen auf der Oberfläche, die das
Dunkel der Lokalfarbe noch bei weitem übersteigen und sie relativ hell oder
farbig erscheinen lassen. Diese Tiefe die der Sammt gestattet, soll man be-
nützen. Mir hat heller, wohl gar weisser Sammt immer einen krankhaften
Eindruck gemacht, als sähe ich weisse Neger oder Kakerlaken. Doch kommt
hierbei vieles auf dasjenige an, was mitwirkend den Effekt bestimmt. Eine
jede Dissonanz kann an gehöriger Stelle und gehörig aufgelöst ein Meister-
griff sein.