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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0244
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Viertes Hauptstück.

Es kommen nämlich nur zweierlei Stiche in Betracht: 1) der
Plattstich, 2) der Kreuzstich.
Die Grenze oder, wenn man will, der abstrakte Begriff des
Plattstiches ist die Linie; die Grenze des Kreuzstiches ist der
P u n k t.
Der Plattstich scheint der ältere zu sein, da er den meisten
wilden Völkern schon geläufig ist, die ihn benützen um theils
mit den Bärten theils mit den gespaltenen Spulen der Vogelfedern
oder andern natürlichen buntfarbigen Fäden auf Thierhäuten und
Baumrinden allerhand bunte, meistens geschmackvolle, Muster aus-
zuführen. Diese Muster sind über der Oberfläche erhaben und
enthalten in Wirklichkeit die Grundlage des polychromen Reliefs.
Mit ihnen sind die Jagdgeräthe, Mokassins und sonstigen Toilet-
tengegenstände der Indianer Nordamerikas besonders an den
Nähten und Zusammenfügungen der Stücke woraus sie bestehen
reich und stilgerecht verziert. Dass der Plattstich als Element
der Ziernähterei der ursprüngliche sei erhellt schon aus sei-
ner Anwendung beim Nähen. Das Nähen der Naht erzeugte
den Plattstich den man dann auch gleichzeitig ornamental be-
nützte.
Die Figuren entstehen durch Reihung von Plattstichen theils
mit theils ohne Umränderung; die Reihung geschieht erstens so,


Tyroler Federstickerei.

dass die Enden der Stiche Zu-
sammentreffen, zweitens in der
Weise, dass die Stiche sich ganz
oder zum Theil ihrer Länge nach
berühren; durch das Ueberragen
der Enden des einen Fadens über
die Enden des benachbarten Fa-
dens entsteht eine treppenförmige
Begrenzung der mit parallelen
Stichen bedeckten Flächen, und
so ist die Möglichkeit gegeben
jede Figur darzustellen, mag sie
nun geradlinicht oder krumm-
linicht oder in gemischter Weise
begrenzt sein. (Siehe beistehende
einer Tyroler Federstickerei ent-
lehnte Figur.)
 
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