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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0274
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Viertes Hauptstück.

griechischer Monumente der Baukunst zierten , und zwar gerade
diejenigen aus der strengen Schule der Malerei kurz vor und zu
der Zeit des Perikies, wirkliche Wandgemälde und keine Schilde-
reien gewesen seien. Hätten beide Antagonisten den Gegenstand
der sie trennte vom Standpunkte der allgemeinen Kunstgeschichte
des Alterthums betrachtet und in der Art der Verzierung der
Wände durch Malerei bei den Griechen und Römern ein uraltes
Prinzip der Baukunst aller Völker der alten Welt wieder erkennen
wollen, das sich nur auf klassischem Boden im Zusammenhänge
mit der Baukunst auf eigene Weise umbildete und vergeistigte
ohne dabei seinen gleichsam vorarchitektonischen Ursprung im
geringsten zu verleugnen, hätten sie, von hier ausgehend, dann
die Stellen der Alten welche über Malerei handeln und was sich
von Spuren ehemaliger griechischer Wandmalereien und von
Ueberresten römischer Kunst noch erhalten hat, mit demjenigen
in Einklang zu bringen versucht was die Urgeschichte der Kunst
uns lehrt, sie würden einander auf neutralem Gebiet, nämlich
vor den monumentalen Werken des Polygnot und Mikon, Panänos
und Onatas, Timagoras und Agatbarchos, die keine Tafel- son-
dern Wandmalereien waren aber in gewissem höherem Sinne und
dem Stile nach der Tafelmalerei angehörten, die Hände zur Ver-
söhnung gereicht haben. Diese Werke fallen nämlich in dieselbe
Zeit, wo auch die Baukunst der Hellenen das uralt überlieferte
Prinzip des Bekleidens nicht mehr materiell, sondern nur noch
symbolisch und in vergeistigtester Weise beibehält, während vor-
her sowie nachher, vorzüglich seit Alexander, dasselbe Prinzip in
mehr barbarischer Realistik sich geltend macht und in Rom so-
gar mit einem neuen Bauprinzipe, wonach die Steinkonstruktion
als formgebendes Element auftritt, in Konflikt geräth. Statt
dessen verharren Beide auf ihrem Satze; Raoul-Rochette sieht
überall nur auf Holz gemalte Schildereien, die an der Wand
oder sonst wie aufgehängt wurden, ihm sind die grössten Bilder
der historischen Schule nichts Anderes; nur zögernd räumt er
ein sie seien in Fällen und ausnahmsweise künstlich in die Wand
eingelassen worden; er hätte dafür lieber zeigen sollen dass auch
die eigentlichen Wandmalereien im Charakter, in der Weise ihrer
räumlichen Vertheilung auf den Mauerflächen, wenn auch nicht
ihrem Wesen nach und faktisch, —Tafelbilder, oder richtiger
gemalte Wandbekleidungen waren.
 
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