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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0284
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Viertes Hauptstück.

folge für so wichtig dass ich darauf noch durch ein erläu-
terndes Beispiel besonders hinweisen zu müssen glaube. Ein
solches bietet die statuarische Kunst der Hellenen am schicklich-
sten dar, da sich der Stufengang ihrer stofflichen Entwicklung
so ziemlich deutlich verfolgen lässt.
Wahrscheinlich geben die mit wirklichen Gewändern festlich
bekleideten Holzidole, (öatöcda, <~öcwa) das älteste Motiv der sta-
tuarischen Kunst, die sich nach diesem Vorbilde 1 vielleicht am
frühsten in monumentaler Weise an Bronzebildern bekundet.
Die ursprünglichste Bronzestatue besteht aus einem mit Metall-
blech umkleideten Kerne. — Die Technik die dabei in Anwen-
dung kommt, heisst Empaistik (sfinaiOTinri r/pjA Inkrustations-
arbeit, Plattirarbeit. (Doublure, placage.) Die frühesten Kolossal-
statuen der Assyrier und Babylonier, wie sie uns Herodot, Dio-
dor und Strabo beschreiben, waren dieser Art, „inwendig nichts
denn Laimen (oder Holz) und auswendig ehern,wie der Bel
zu Babel.2 Ganz so sind auch verschiedene Stücke getriebener
Arbeit aus Ninive, Stierfüsse und andere Fragmente alt-assyri-
scher Empaistik, die das brittische Museum durch Austin Layard
erworben hat. Inwendig Holz, Lehm oder eine bituminöse Masse,
auswendig ein dünner Erzüberzug. 3 Als Weiterbildung dieser Tech-
nik kann die hohle getriebene Arbeit gelten die die Alten Sphyre-
laton nannten, ouvrage au repousse, und so tritt sie uns an den
frühesten Bronzebildwerken der Hellenen entgegen. Alle im
Homer erwähnten Metallarbeiten, alle jene für das hohe griechi-
sche Alterthum charakteristischen Kolosse aus Erz von denen
wir Kunde haben, waren getrieben, hohl und aus Stücken zu-
sammengeniethet. Erst später wurde das Löthen erfunden oder
vielmehr, wie die meisten anderen Erfindungen in den Künsten
der Griechen, den Völkern älterer Kultur abgeborgt und auf
Statuen angewandt. Pausanias beschreibt das mit Nägeln zu-
1 Also auch hier dasselbe Grundmotiv als Ausgang: die Bekleidung im
eigentlichen Sinne des Ausdrucks.
2 Vom Bel zu Babel Vers 6.
3 vde. Homer Odyss. III. 425—26, wo Nestor den Goldtreiber Laertes be-
auftragt, die Hörner des Opferstiers mit Goldblech zu überziehen. Vergl. Ju-
piter Olympien, S. 160. Der bituminöse Kern war auch den Toreuten der
Renaissance der nachgiebige Grund, worauf sie ihre getriebene Arbeit häm-
merten. Benvenuto Cellini beschreibt dieses Verfahren in seiner Abhandlung
über Goldschmiedskunst.
 
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