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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0283
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Textile Kunst. Bekleidungsstoffe in der Baukunst.

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Sprache selbst ihre Terminologie des Bauwesens grossentheils
entlehnte, 1 die vorarchitektonische Technik des Wandbereiters
nämlich, den wichtigsten und dauerndsten Einfluss auf die stili-
stische Entwicklung der eigentlichen Baukunst haben und behal-
ten musste, dass sie gleichsam als Urtechnik zu betrachten sei,
kann nach allem was darüber bereits vorausgeschickt worden,
keinem Zweifel mehr unterliegen, doch wird die zunächst folgende
Uebersicht der Erscheinungen der Baugeschichte welche sich auf
diese Thatsache beziehen, deren Evidenz vervollständigen.
Nicht minder wichtig aber bei weitem schwieriger ist es zu
ermitteln, durch welche Uebergänge die eigentliche Baukunst, und
mit ihr die bildende Kunst allgemein betrachtet, in der Benützung
der Stoffe zu bildlicher Darstellung hindurchging- und weiche von
diesen Mitteln die früheren, welche die späteren waren, die in
Anwendung kamen. Es ist hier zunächst nur von den Stoffen
selbst, nicht von der Art ihrer Verwerthung die Rede.
Das Bedeutsame dieser Frage für die Geschichte des Stils
ist leicht ersichtlich. Jeder Stoff bedingt seine besondere Art
des bildnerischen Darstellens durch die Eigenschaften die ihn
von andern Stoffen unterscheiden und eine ihm angehörige Tech-
nik der Behandlung erheischen. Ist nun ein Kunstmotiv durch
irgend eine stoffliche Behandlung hindurchgeführt worden, so
wird sein ursprünglicher Typus durch sie modificirt worden sein,
gleichsam eine bestimmte Färbung erhalten haben; der Typus
steht nicht mehr auf seiner primären Entwicklungsstufe, sondern
eine mehr oder minder ausgesprochene Metamorphose ist mit ihm
vorgegangen. Geht nun das Motiv aus dieser sekundären oder
nach Umständen mehrfach graduirten Umbildung einen neuen
Stoffwechsel ein , dann wird das sich daraus Gestaltende ein ge-
mischtes Resultat sein, das den Urtypus und alle Stufen seiner Um-
bildung die der letzten Gestaltung vorangingen in dieser ausspricht.
Auch wird bei richtigem Verlaufe der Entwicklung die Ordnung
der Zwischenglieder die den primitiven Ausdruck der Kunstidee
mit den mehrfach abgeleiteten verknüpfen zu erkennen sein. Ich
halte das Erfassen der ganzen Wichtigkeit dieser Frage über den
Stoffwechsel in den Künsten und dessen Gesetz der Aufeinander-
1 Siehe darüber den Artikel Hellenische Baukunst in dem 2ten Theile
dieses Buchs und passim.
Semper. 30
 
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