Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0324
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
274

Viertes, Hauptstück.

licherweise treten auch Nymphen und Dienerinnen 1 (Karyatiden)
als Gewänder tragende und spannende Figuren auf, erscheinen sie
in späterer Nachbildung und Verwerthung ähnlich bethätigt auf
Relieftafeln, 2 an Vasen und in der Baukunst statt der Säulen.
Diese Motive nun der späten Kunst der Griechen und Römer
waren mit anderen vielen uralt asiatischen Ursprungs. Die
europäische Kunst lag noch dort wo sie später die schönsten
Früchte bringen sollte im tiefsten Schlummer, wie schon die
Künste des Webstuhls, die Chälkeutik und die Töpferei in Asien
den Grad der Entwicklung erreicht hatten über den sie sich liier
später eigentlich niemals hinaus wagten, und ihre Erzeugnisse
durch Verkehr und Raub in die noch unkultivirten zunächst
gelegenen Länder getragen wurden.
So geschah es dass diese frühen chaldäischen Stickereien mit
ihren unverstandenen Symbolen, Fabclthiercn und Thierkämpfen,
dass verwandte Darstellungen auf Gefässen und Geräthen aus
Thon und Bronze auf die Einbildungskraft der empfänglichen
Hellenen lebhaft einwirken mussten, dass vielleicht in einigen
Fällen heimische Sagen und religiöse Elemente die eine ent-
fernte Aehnlichkcit oder selbst Grundzüge ältester Gemeinsippe
boten gewaltsam zu ihrer Deutung hierbeigezogen, meistens aber
die Sagen und religiösen Bilder erst frisch aus ihnen heraus
gedichtet wurden. Zugleich erweckten sie den Nachahmungstrieb
und die bildenden Künste wucherten eben so schöpferisch und
frei wie die Dichtkunst, und von dieser befruchtet, aus dem
üppigen Boden einer in ihrer nächsten Bedeutung erstorbenen
asiatischen Formenwelt hervor.
So wurden zum Beispiel zunächst die Ränder, Kanten, Nähte,
Verbrämungen, Knöpfe, Knoten, Bänder, Schleifen, Ueberhänge
und dergleichen nothwendige struktive Elemente der Textrin zu
allgemeinen Typen der Kunst, und bei aller späteren Umbildung
die mit ihnen vorgenommen wurde behielten sie einen guten
Theil ihrer asiatischen Sonderzüge bei. Dann auch fand das
vegetabilische und animalische Zopfgeflecht und kosmogonische
gils ländlichen Gedichten und die gelehrte Notiz in Böttigers kleinen Schrif-
ten. Bd. I, S. 402.
1 Claudian II, da raptu Proserp. 320.
2 Sehr interressant ist in dieser Beziehung jenes bekannte Relief im
Museum zu Neapel, das offenbar einen Teppich nachahmt.
 
Annotationen