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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0327
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Textile Kunst. Exkurs. Tapezierwesen der Alten.

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und unbestimmten Hindeutungen der alten Autoren über diesen
Gegenstand gewähren.
Auch Böttiger1 beklagt sich über diesen Mangel, aber er hat
bei seinem Desiderium ebenfalls nur den Teppich selbst und seine
Malerei, nicht aber das für uns hier Wesentlichere, nämlich die
Weise ihrer Verwendung, die eigentliche Kunst des Tapeziers,
im Auge. Was ich daher bei diesem Mangel an Vorarbeiten
als Ungelehrter darüber zu geben vermag darf kaum für den
nächsten Zweck den ich beabsichtige genügend erscheinen, keines-
wegs auf Erschöpfenderes über diesen Gegenstand Anspruch
machen.
Die Tapezierkunst der Alten ist dieselbe die sich bis auf den
heutigen Tag in südlichen und östlichen Ländern, besonders in
Indien, China und Persien, erhalten hat. Sie ist selbst bei uns
in der katholischen Kirchenregel und sogar in manchen profanen
Gebräuchen wieder zu erkennen.
Dasjenige was wir hier vor Augen sehen wirft ein erwünsch-
tes Licht auf die zum Theil dunklen und lückenhaften Mitthei-
lungen der Alten über die res vestiaria der klassischen Vorzeit.
Zu diesem kommen noch die alten Monumente selbst, die oft
deutliche Spuren eines früheren Mitwirkens der vestiarischen Kunst
zu ihrem Gesammteffect zeigen, und unter diesen vorzüglich die
Ueberreste von Pompeji und Herkulanum mit ihren Wandmale-
reien, welche letztere allein schon einen ganzen Schatz von Auf-
schlüssen über das Draperiewesen der Alten geben. Es liegt also
ein sehr reichhaltiger Stoff vor, der sich vielleicht am besten
fassen lässt wenn man drei Aufgaben die dem Vestiarius des
Alterthums oblagen unterscheidet, nämlich 1) die Ausstattung
einer architektonischen Einrichtung in so weit sie diese vervoll-
ständigt und zu ihrer Ergänzung unbedingt vorausgesetzt werden
muss ; 2) den Schmuck mit welchem der Vestiarius ein architek-
tonisches Werk das an sich schon vollständig ist für besondere
festliche Gelegenheiten ausstattet; 3) die Einrichtung zeitweiliger
und zeltartiger Anlagen.
Wer nur den Grundplan eines antiken Hauses betrachtet
überzeugt sich sehr bald dass die jetzt fehlenden Draperieen
unbedingt im Geiste restituirt werden müssen um es für wohn-
1 In seinem Aufsatze über die Teppiche nach Raphaels Kartons. Kl. Sehr.
111. p. 448. Anmerkung 2.
 
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