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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0433
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Textile Kunst. Assyrien. 383
am häufigsten vorkommen und die wichtigsten sind: Erstens der
heilige Baum, jenes schon öfters erwähnte Pflanzengewirr,
dessen Bestandteile bereits durch lange Benützung als religiöses
Symbol konventionell und ornamentistisch vorbereitete Analoga aus
der Natur sind und als solche vielfach dienen um einen struk-
tiven oder funktionellen Gedanken zu verbildlichen, wodurch
sie einen zwiefach symbolischen Sinn erhalten. Oe.fters sind z. B.
die Spreitzen und selbst die Ständer der Throne, Altäre, Tische
und sonstigen Geräthe mit ihren Schäftungen oder Hülsen (negövaig)
geradezu gestaltet wie der Stamm des heiligen Baumes mit seinen
durch Blattvoluten charakterisirten Absätzen. (Vergl. Holzschnitt
Seite 78.)
Dieser Ursprung eines sehr verbreiteten tektonischen Zierraths
zeigt sich zur Evidenz an den ältesten Geräthen, wie an dem
auf Seite 378 dargestellten Sessel. Er spricht hier noch in
doppelter Beziehung als Symbol, indem er die Hülse des geschäf-
teten Stabs gleichsam organisch belebt und zugleich den Stuhl
zu einem geheiligten Geräthe stempelt. — Der Gedanke
schwächt sich ab und geht unter in der späteren Ueberhäufung
der Blattvoluten; (vergl. Holzschnitt Seite 273.) Bei den Per-
sern endlich ist die Erinnerung an den Ursprung dieses Orna-
ments total verschwunden, wird die Volutenreihe in gänzlich
verstümmelter Weise und an verkehrter Stelle überall gedanken-
los angebracht. So entstanden z. B. die vierfachen Doppelvoluten,
welche aufrecht stehend die Gabel der persischen Säule seltsamlich
mit dem eigentlichen Kapitäle verknüpfen. (S. Holzschnitt S. 384.)
Ganz auf gleiche Weise dient derselbe Volutenabsatz, ver-
bunden mit einer aus ihm hervorwachsenden Palmette, als oberste
Bekrönung eines aufrechtstehenden Konstruktionstheiles, wie an
der zweiten Figur auf Seite 385.
Der durch ihn verstärkte und versinnlichte struktive Gedanke
ist derselbe, mit dem bestimmenden Zusatze dass ein aufrechter
Organismus nach Oben abgeschlossen sei. Ich gab bereits zu
Seite 236 die Zeichnung einer solchen im Br. .Museum befind-
lichen Bekrönung aus geschlagenem Metalle, die sich materiell und
formell als Schlusshülse einer geschäfteten Hohlstange bekundet.
Das ionische Volutenkapitäl, welches auf allgemein bekannten
Darstellungen assyrischer Bauwerke vorkommt und in vollkommen-
ster Durchbildung sich an einem Elfenbeinbruchstücke unter den
 
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