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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0465
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Textile Kunst. Aegypten. Altes und neues Reich.

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sich ungefähr seit Rhamses V. (15. Jahrh. v. Chr.) nur auf Todten-
kult, auf Todtengericht und auf das Leben nach dem Tode be-
ziehen; wogegen die Privaten und selbst hohe Beamte fort-
fuhren ihre irdischen Schätze, Freuden und Verhältnisse
auf den Wänden ihrer Gräber nach alter Sitte darstellen zu
lassen. Doch konnte sich die Art der Darstellung dem Einflüsse
des herrschenden Kunststiles nicht mehr entwinden. — Ferner-
ist in jenen Gräbern alten Stils die Decke nicht mit Figuren
und symbolischen Bildern bedeckt, sondern mit Motiven rein
dekorativer Art, und zwar solchen, die ihren Ursprung aus der
Weberei und Stickerei deutlich kundgeben. Dieselben ornamen-
talen Motive bilden auch die Einfassungen der Wandbilder, von
denen oben die Rede war. Die Hieroglyphik konnte sich hier
des Ornaments so wenig wie der darstellenden Kunst bemeistern,
sondern jenes behielt seinen primitiven einfach - struktiven Sinn
als Muster, als Naht, Saum oder dgl. Diese Wandverzierungen
alten Stils sind in Komposition und Farbe untadelhaft und man
könnte sie für die Vorbilder der griechischen halten wären sie
nicht das natürliche Gemeingut aller Völker, worauf gleichsam
die Natur selbst diese verwies und hinführte.1 (Siehe Tab. XI der
lithochromen Blätter.)
An ihre Stelle setzt der hieratische Pharaonenstil das sym-
bolische Ornament, das gleichsam aus einer Reihung von Hiero-
glyphen besteht, und dem nur selten zugleich struktur-symboli-
scher Sinn innewohnt, gleichsam wie zufällig oder instinktiv.
Zu diesen symbolischen Ornamenten gehören die Hathormasken,
die UräusSchlangenreihen über der Platte der Hohlkehlbekrönung,
die Namenschilder der Könige’ mit dem heiligen Symbol der
Schlange rechts und links, die Skarabäen und dergl.- Nur
wenige ornamentale Symbole der ursprünglichen Art behält der
hieratische Hieroglyphenstil bei und selten ungeändert; z. B. das
Federornament der Hohlkehle, das aber durch Namenschilder, ge-
flügelte Weltkugeln, geköpfte Gefangene und dergl. durchsetzt
1 Das verdienstvolle Werk Wilkinsons enthält eine Auswahl solcher
Muster (Vol. II, Seite 124), von denen ich einige auf Tab. XI der lithochro-
men Darstellungen gab mit Beifügung einer skandinavischen Stickerei, die
aus dem frühen Mittelalter stammt, deren ähnliche aber noch jetzt als Ge-
schicklichkeitsprobe und Vorbild für spätere Anwendung beim Zeichnen der
Wäsche von den Bäurinnen Holsteins gestickt werden.
 
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