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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0466
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416 Viertes Hauptstück.
wird und sich triglyphenartig gestaltet. Dann das Bandgeflecht
der Rundstäbe, welche die Mauerflächen einfassen, das Lotos-
ornament auf dem schwarzen Grunde der Sockelplatten der Ge-
bäude, das übrigens ebenfalls schon hieroglyphisch geworden ist,
und wenige andere.
Es ist ein sehr -verbreiteter Wahn den starren hieratischen
Stil Aegyptens als etwas Ursprüngliches, gleichsam als das Windel-
band der Kunst, zu betrachten, aus dessen Fesseln sich Aegyp-
ten niemals habe befreien können, aus welchem aber ein Auf-
schwung zu freier Kunst möglich sei, welchen Schritt die Grie-
chen zuerst gewagt hätten. Die Sache verhält sich umgekehrt.
Langsamwirkende tausendjährige Einflüsse vollendeten dieses
Werk der Versteinerung ; bereits zur Zeit der Pyramidenerbauer
war sie weit vorgeschritten und wir erkennen • an den ältesten
Monumenten nur noch die Spuren einer schon im Erstarrungs-
prozesse begriffenen frischeren Kunst, die freilich auf früher Ent-
wicklung stufe bereits dem Typhon, dem versteinernden Wüsten-
dämon für immer und unrettbar anheimgefallen war. Auf jener
frühen Entwicklungstufe hatte sie verwandtschaftliche Züge mit
derjenigen Kunst die in Westasien noch in späterer Zeit sich
erhielt und die auch in dem vorgeschichtlichen Hellas einheimisch
war, woselbst sie das günstige Klima und den Boden zu voller
Entwicklung fand, — nicht ohne Einfluss von Aegypten her, oder
doch wenigstens nicht ohne Beimischung eines hierarchisch-ägypti-
sirenden Elements, das vielleicht ganz unabhängig von Aegypten
aus hellenischem Boden hervorging, und eine Periode hindurch,
die keinesweges die erste Frühperiode der griechischen Kunst
war, gefahrdrohend für sie wurde. Aber ionischer Geist bändigte
glücklich den versteinernden aristokratischen Dämon bis zu dem
für sein formales Schaffen nothwendigen, ihm nicht ursprünglich
eingeborenen, Takte für Mass und Gesetzlichkeit.
§. 74.
Säulenordnungen.
In den Säulen und dem von ihnen Getragenen tritt der Prin-
zipiengegensatz zwischen früh-ägyptischer und pharaonischer Kunst
noch schärfer hervor, obwohl, wie schon bemerkt worden ist, das
 
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