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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0476
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Viertes Hauptstück.

wie ein Vogelkäficht gestaltet, mit ringsum bis zur Sohle geöff-
neten Interkolumnien, welche verkehrte Vorstellung uns noch
später beschäftigen soll.
Hella s. Kleinasien.
Wir nähern uns der letzten Entwicklung des Prinzips was
uns schon so lange beschäftigte.
Hellenische Kunst konnte nur auf dem Humus vieler längst
erstorbener und verwitterter früherer Zustände der Gesellschaft
hervorwachsen; sie musste in Beziehung auf ihre Elemente und
Motive dem komponirten Charakter entsprechen der das Hellenen-
thum überhaupt bezeichnet und der auch sonst, z. B. in der
griechischen Mythologie, so klar zu Tage tritt. Diese ist eine
selbständige poetische Schöpfung des späteren Hellenenthums, die
uns zuerst im Homer und im Hesiod in künstlerischer Gestaltung
begegnet; aber sie basirt auf einem Wüste von Bruchstücken einer
obsolet gewordenen metaphysischen Natursymbolik, untermischt
mit historischen Ueberlieferungen, fremden und einheimischen
Glaubensartikeln, Legenden und Superstitionen.
Wie aus diesem üppigen Chaos die freie Götterpoesie sich ent-
wand , eben so war die bildende Kunst, als Illustration der
ersteren, auf den Trümmern älterer einheimischer und fremder
Motive hervorgeschossen. Wie der herrliche Marmor, der den
Küsten und Felsen Griechenlands Gestaltung gibt, ungeachtet sei-
ner homogenen Bildung, durch Adern, durch darin zerstreute Fos-
silien und andere Zeichen, seine sedimentäre Entstehung verräth, -—
eben so wenig verleugnet die hellenische Kunst ihren sekundären
Ursprung; auch sie zeigt dem Beobachter alle die Ablagerungen,
die ihre materielle Basis bilden, die aber in einer herrlichen Volks-
metamorphose aus ihrem sedimentären Zustande zu krystallklarer
Homogeneität zusammenschossen.
Die Berücksichtigung dieser Spuren ursprünglicherer, den
eigentlich hellenischen vorangegangener, Kunstzustände in Grie-
chenland und den kunstverwandten Ländern ist nothwendig zu
dem Verständniss gewisser Erscheinungen in der griechischen
Kunst, die uns, wegen der Zerstörung der Monumente und
des unserer Anschauung entzogenen Gesammtbildes dieser Kunst,
 
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