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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0486
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Viertes Hauptstück.

Giebel. Gleiche, oder ähnliche, Verbindungen zeigen andere Grä-
ber in Palästina, die wahrscheinlich wenigstens zum Theil vor
der babylonischen Gefangenschaft errichtet oder vielmehr aus dem
Felsen gearbeitet wurden. Auch in der Nekropolis von Kyrene
erscheinen ionische Säulen der primitiv asiatischen Bildung ver-
bunden mit dorischem Triglyphengebälk und Giebel. Aehnliches
weisen die hetrurischen Felsengräber auf, sowie das keineswegs
spätzeitige sogen. Monument des Theron in Agrigent, der kleine
korinthisch-dorische Tempel zu Paestum, das durch H. Hittorff
restituirte Heroum zu Selinunt u. s. w. — Ein Gemisch dorischer
und ionischer Theile mit Barbarischem sehen wir ebenfalls an
Tempeln, Brunnen, Häusern und Gräbern auf den bemalten Vasen
der hellenischen Mittelperiode. Zu den archaischen Hybriden dieser
Art rechne ich auch die vereinsamt noch aufrechte Säule des Tem-
pels der Hera zu Sanios, die eben so gut dorisch wie ionisch heis-
sen kann, denn das einzige Säulenknaufbruchstück was von ihr
übrig ist bildet Theil eines ungeheuren Eierstabechinus, und
nichts beweist dass dieser jemals eine ionische Volute trug. Das
alte Heraeum, von Rhökos und Theodoros um 01. 40 erbaut, wird
uns als ein dorisches Monument bezeichnet; es ist niemals durch
Polykrates restaurirt und dabei in den ionischen Stil umgewan-
delt worden, wie O. Müller sich einredet, das gänzliche Schwei-
gen der Geschichte über so wichtige Begebenheiten, wie die Zer-
störung und der Wiederbau des grössten Nationaltempels der
Griechen in einer anderen Bauweise, bürgt für die Grundlosigkeit
dieser Voraussetzung; folglich war die Säule zu Samos trotz
ihrem merkwürdigen Trochilos unter der Spira der Basis den da-
maligen Griechen dorisch!!
Die Ordnungen sind eben weiter nichts als das
Organisationswerk des Geistes, der in diesemChaos
die ordnende Trennung bewirkte.
76-
Das eigentliche Griechenland. Allgemeine Betrachtungen.
Doch wenden wir uns nun zu dem eigentlichen Griechenland!
Auch hier begegnen wir manchem Räthsel der frühhellenischen
Baukunst das uns für unser Thema (Bekleidungsprinzip als for-
males Element der Baukunst) zu denken gibt.
 
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